Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters
Rechtslage, Gestaltung, Konflikte
Wird eine längere vertragliche Zusammenarbeit zwischen zwei Geschäftsleuten beendet, kommt es oft vor, dass ein Streit über die Abwicklung sowie die noch ausstehenden Ansprüche aus der Geschäftsbeziehung entstehen. Diese Erfahrung machen auch oft Vertriebspartner, wenn der Handelsvertretervertrag beendet wird.
Das Gesetz gewährt dem Handelsvertreter auf verschiedenen Ebenen einen starken Schutz. Ein wesentlicher Baustein ist der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gegenüber dem Unternehmer, wenn der Handelsvertretervertrag beendet wird. Der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB ist oft Gegenstand von gerichtlichen Streitigkeiten. Viele rechtliche Facetten des Ausgleichsanspruchs, wie die Entstehung, der vertragliche Verzicht oder die Ausgleichshöhe, sind nicht selten sehr komplex und streitanfällig.
Anwaltliche Expertise im Handelsvertreterrecht
Unser Team von Rechtsanwälten und Fachanwälten für Handelsrecht verfügt über eine jahrelange Erfahrung im Handelsvertreterrecht aus vielen gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Handelsvertretern und Unternehmern. Von unseren Standorten Hamburg, Berlin, München und Frankfurt beraten wir Unternehmer und Handelsvertreter bundesweit und international im Zusammenhang folgenden Themenbereichen:
- Bewertung von Handelsvertreterverhältnissen unter Berücksichtigung des Kündigungsrechts und bestehender Kündigungsgründe;
- Gestaltung von Handelsvertreterverträgen entsprechend den unternehmerischen Vorgaben zum geplanten Betriebssystem;
- Vertretung des Unternehmers bei der Abwehr von Ausgleichs-, Buchauszugs- und Provisionsansprüchen im nachvertraglichen Bereich;
- Vertretung von Handelsvertretern bei der Geltendmachung seiner handelsvertreterrechtlichen Informationsrechte und finanziellen Ansprüche, insbesondere des Ausgleichsanspruchs;
- Begleitung unserer Mandanten bei einstweiligen Verfügungsverfahren;
- Klageverfahren und Schiedsverfahren sowie Beratung zum Thema Prozessfinanzierung, um die Prozesskostenrisiken zu reduzieren;
- Steuerrechtliche Beratung bei laufenden Vertriebsverträgen und nach Beendigung von Handelsvertreterverträgen.
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Der Ausgleichsanspruch hat den Zweck, den Kundenstamm, den der Handelsvertreter geworben hat und der von dem Unternehmer weiterhin genutzt werden kann, nach Beendigung des Handelsvertretervertrags zu vergüten. Diese Vergütung ist Gegenstand des Ausgleichsanspruchs. Er stellt also eine Gegenleistung für vom Handelsvertreter aufgebaute und dem Unternehmer übertragene Vermögenspositionen dar.
Rechner für die Ermittlung des Ausgleichsanspruchs
Wir haben für Sie im Excel-Format ein Tool für die überschlägige Berechnung des Ausgleichsanspruchs für Handelsvertreter nach § 89b HGB erstellt.
Entstehung des handelsvertreterrechtlichen Ausgleichsanspruchs
Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters setzt voraus, dass der Handelsvertretervertrag beendet ist. Erst mit der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses entsteht der Ausgleichsanspruch. Er ist innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen, ansonsten verfällt er (§ 89b Abs. 4 S. 2 HGB).
Erforderlich ist des Weiteren, dass dem Unternehmer nach der Vertragsbeendigung erhebliche Vorteile zukommen (also neue Kundenkontakte entstanden sind), wobei eine Zahlung des Ausgleichs des Weiteren auch der Billigkeit entsprechen muss (beide Aspekte fordert die Vorschrift des § 89b Abs. 1 HGB). Auch wenn die Voraussetzungen auf den ersten Blick klar und eindeutig erscheinen, führt der gesetzliche Ausgleichsanspruch im Einzelfall zu komplexen Fragestellungen. Einige davon finden sich im Nachgang dargestellt:
Ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung
Nicht jede Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses führt zu einem Ausgleichsanspruch. Das Gesetz sieht in § 89b Abs. 3 HGB mehrere Ausschlussgründe vor.
Danach besteht ein Ausgleichsanspruch nicht, wenn der Handelsvertretervertrag durch den Handelsvertreter selbst gekündigt wurde. Kündigt ein Handelsvertreter den Vertrag selbst aus privaten Gründen, ohne dass der Unternehmer die Kündigung zu vertreten hat, ist der Ausgleichsanspruch grundsätzlich ausgeschlossen. Erfolgt beispielsweise die Handelsvertreterkündigung, weil der Handelsvertreter sich beruflich umorientiert, kann er keinen Ausgleich vom Unternehmer fordern.
Dabei ist allerdings die Unterausnahme zu beachten, wenn nämlich die Kündigung durch den Handelsvertreter erfolgt ist, weil das Verhalten des Unternehmers Anlass zur Kündigung gegeben hat. Zum Beispiel wenn der Unternehmer in den letzten drei Monaten dem Handelsvertreter böswillig 25 % seiner Provision, entgegen der eindeutigen Regelungen im Handelsvertretervertrag, nicht ausgezahlt hat. In diesem Fall kann der Handelsvertreter nach seiner außerordentlichen Kündigung des Vertrags dennoch einen Ausgleichsanspruch gegen den Unternehmer geltend machen. Ein weiterer wichtiger Fall ist die Kündigung des Handelsvertreters wegen Alters oder Krankheit. Auch ein Handelsvertreter hat das Recht, in den Ruhestand zu gehen ohne dass er dadurch seinen Ausgleichsanspruch aufs Spiel setzt. Dies ist regelmäßig bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters der Fall.
Ein Beendigungsgrund, der den Ausgleichsanspruch entfallen lässt, liegt vor, wenn der Unternehmer das Handelsvertreterverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grund und wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters gekündigt hat. In der Praxis kommt es oft vor, dass ein Unternehmer das Handelsvertreterverhältnis außerordentlich kündigt. Dann wird oft bitterlich über die Frage des Vorliegens eines wichtigen, vom Handelsvertreter zu verantwortenden Kündigungsgrunds gestritten.
Ein Ausgleichsanspruch kann auch dann wegfallen, wenn ein Dritter in das Vertragsverhältnis mit dem Handelsvertreter eintritt und diese Vereinbarung nach der Vertragsbeendigung erfolgt.
Berechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs
Liegt ein gesetzlicher Ausschlussgrund nicht vor, stellt sich als Folgefrage die Berechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs. Bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs sind zwei Bezugsgrößen zu unterscheiden: Zunächst ist auf der ersten Stufe der sogenannter Rohausgleich zu errechnen, der auf der zweiten Stufe durch den sogenannten Höchstbetrag begrenzt wird.
Auf der ersten Ebene des Rohausgleichs orientiert sich das Gesetz an den durch den Handelsvertreter erarbeiteten Vorteilen des Unternehmers, die meist mit den entsprechenden Provisionsverlusten korrespondieren. Der Unternehmer erlangt einen Vorteil dadurch, dass er dem Handelsvertreter keine laufenden Provisionen mehr zahlen muss und gleichwohl die geschaffenen Kundebeziehungen weiterhin für sich nutzen kann.
Die Bezugsgröße Rohausgleich fragt dabei nach den neu geworbenen Stammkunden, die der Unternehmer nach dem Ausscheiden des Handelsvertreters übernimmt. Hierunter fallen nicht nur neue Kunden. Auch Altkunden werden berücksichtigt, wenn der Handelsvertreter die Umsätze mit den Altkunden wesentlich erweitert hat, in der Regel wenn er sie mindestens verdoppelt hat. Bei der Berechnung der Anspruchshöhe ist zu ermitteln, wie hoch die Provisionen mit dem neuen Kundenstamm in den letzten zwölf Monaten ausgefallen sind. Dabei ist der Vorteil des Unternehmers innerhalb eines gewissen Prognosezeitraums, der sich danach richtet, über wie viele Jahre das Unternehmen vom geschaffenen Kundenstamm noch Vorteile ziehen kann, zu bestimmen. Je langlebiger die vertriebenen Wirtschaftsgüter sind, desto länger ist der Prognosezeitraum. Regelmäßig handelt es sich um einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren. Die ökonomische Erfahrung zeigt, dass jedes Jahr Kunden abwandern. Daher ist eine jährliche Abwanderungsquote zu berücksichtigen, die den Rohausgleich mindert. Die Abwanderungsquote hängt von der jeweiligen Branche und den zu vertreibenden Produkten ab. Erfahrungsgemäß rangiert die Abwanderungsquote zwischen 10 und 25 Prozent.
Der Hintergrund, weshalb das Gesetz die wirtschaftlichen Vorteilen des Unternehmers nennt und in der Praxis bei der Berechnung des Rohausgleichs auf die Provisionen des Handelsvertreters abgestellt wird, ist die Einsicht, dass sich die Provisionsverluste des Handelsvertreters wesentlich leichter ermitteln lassen als der Unternehmervorteil. Daher wird in der Praxis zunächst der Provisionsverlust des Handelsvertreters errechnet, von dem dann auf den Unternehmervorteil geschlossen wird. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die Provisionsverluste des Handelsvertreters erst in Zukunft entstehen. In der Rechtsprechung ist daher anerkannt, dass eine Abzinsung anhand anerkannter Abzinsungstabellen zu erfolgen hat. Als Ergebnis erhält man dadurch den Rohausgleich.
Der Rohausgleich wird schließlich in einem zweiten Schritt durch einen Höchstbetrag begrenzt. Die Ausgleichshöchstgrenze wird aus dem Jahresdurchschnitt der vom Handelsvertreter während der letzten fünf Vertragsjahre erhaltenen Vergütungen errechnet. Anders als auf der ersten Ebene (Rohausgleich) sind hier alle Vergütungsbestandteile zu berücksichtigen. So müssen z.B. Vergütungen für Lagerhaltung oder Kundendienste genauso wie Provisionen mit allen Altkunden einbezogen werden. Nicht zu berücksichtigen sind lediglich reine durchlaufende Posten, wie z.B. die Erstattung von Mietkosten durch den Unternehmer. Der Höchstbetrag stellt ein Korrektiv für den Rohausgleich dar und es gilt immer der niedrigere der beiden Beträge. Fällt der Rohausgleich größer aus als der Höchstbetrag, so bestimmt der Höchstbetrag die Höhe des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB. Übersteigt der Höchstbetrag den Rohausgleich, so bestimmt sich der Ausgleich anhand des Rohausgleichs.
Vertragliche Variation des Ausgleichsanspruchs?
§ 89b Abs. 4 S. 1 HGB bestimmt, dass der Ausgleichsanspruch nicht im Voraus ausgeschlossen und auch nicht beschränkt werden darf. Diese Schutzvorschrift soll den Handelsvertreter vor Übervorteilung durch den Unternehmer absichern. Vor der Beendigung des Handelsvertretervertrags wird jede Abrede über den Ausschluss und Einschränkung des Ausgleichsanspruchs als unwirksam betrachtet. Dabei ist nicht nur jede quantitative Beschränkung des Ausgleichsanspruchs, sondern jede vom gesetzlichen Leitbild abweichende Vereinbarung, die den Handelsvertreter benachteiligt, unzulässig.
Gestaltungsspielräume können sich jedoch für Auslandssachverhalte ergeben, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit nicht innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ausübt.
Einfordern des Ausgleichsanspruchs
Beim Ausgleichsanspruch ist zwingend die einjährige Ausschlussfrist zu beachten. Der Anspruch kann nur innerhalb von einem Jahr nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses geltend gemacht werden (§ 89b Abs. 4 S. 2 HGB). Damit ist nicht gemeint, dass der Anspruch gerichtlich geltend gemacht werden muss. Zwecks Dokumentation ist eine schriftliche Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs zumindest dem Grunde nach empfehlenswert. Die Höhe des Ausgleichsanspruchs muss zunächst noch nicht beziffert werden. Es ist ausreichend, wenn der Handelsvertreter erklärt, dass er seinen gesetzlichen Ausgleichsanspruch geltend macht.
Unsere Fachanwälte für Handelsrecht unterstützen Unternehmer und Handelsvertreter bei der Verteidigung und bei der Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen, Provisionen und Überhangsprovisionen. Unsere Rechtsanwälte verfügen dabei über langjährige Erfahrungen im Vertriebs- und Handelsvertreterrecht, die eine professionelle rechtliche und strategische Beratung gewährleisten.
FAQ zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters
Was passiert mit dem Ausgleichsanspruch im Todesfall?
Der Ausgleichsanspruch entsteht auch, wenn der Handelsvertreter stirbt. In diesem Fall geht der Anspruch auf seine Erben über und kann von diesen gegenüber dem Unternehmer geltend gemacht werden.
Was passiert mit dem Ausgleichsanspruch, wenn der Handelsvertreter einen Nachfolger benennt?
Überträgt der Handelsvertreter seinen bestehenden Vertrag auf einen Nachfolger, dann entsteht kein Ausgleichsanspruch. Grund hierfür ist, dass der Vertrag dadurch nicht beendet wird, sondern lediglich eine Vertragspartei ausgetauscht wird. Eine entsprechende Abgeltung kann der ausscheidende Handelsvertreter mit seinem Nachfolger vereinbaren.