Befreit oder nicht befreit - die Vorerbschaft im Testament
Auch der letzte Wille muss klar zum Ausdruck gebracht werden
Auch der letzte Wille muss klar zum Ausdruck gebracht werden
Handschriftliche Testamente sind häufig unklar und auslegungsbedürftig. Nicht selten streiten dann die Angehörigen vor Gericht um die richtige Interpretation. In einem Fall des OLG München ging es um die Anordnung einer sogenannten Vor- und Nacherbschaft im Testament (OLG München, Beschluss vom 13.11.2018 – 31 Wx 182/17).
Der Erblasser hatte 2009 in einem handschriftlichen Testament verfügt, dass seine Lebensgefährtin sein „gesamtes Vermögen erbt“ und für seine Kinder „verwalten“ soll. Außerdem erteilte er seiner Lebensgefährtin mit der Verfügung Vollmacht über alle Firmen- und Privatkonten. Als er 2015 verstarb, beantragte die Lebensgefährtin einen Erbschein, der sie als unbeschränkte Alleinerbin ausweist. Das Nachlassgericht lehnte dies ab. Es ging davon aus, dass der Erblasser seine Partnerin nur als Vorerbin einsetzen sollte. Ein Vorerbe darf die Erbschaft lediglich nutzen, bevor sie (in der Regel mit dem Tod des Vorerben) an den oder die Nacherben fällt. Diese Gestaltung nennt sich Vor- und Nacherbschaft.
Wenn schon Vorerbin, dann wenigstens befreit
Die Lebensgefährtin stellte daraufhin erneut einen Erbscheinsantrag, der darauf zielte sie als befreite Vorerbin und die Kinder des Verstorbenen als Nacherben auszuweisen. Als befreite Vorerbin könnte sie - was dem gewöhnlichen Vorerben verwehrt ist – zum Beispiel auch Immobilien im Nachlass veräußern und wäre von den Pflichten der ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung und Rechenschaftslegung befreit.
Doch auch diesen Erbschein wollte das Nachlassgericht nicht ausstellen. Der Erbstreit landete vor dem OLG München, allerdings ebenfalls ohne Erfolg für die Lebensgefährtin. Auch die Richter in München konnten nämlich keine Anordnung einer Befreiung erkennen. Eine solche Anordnung, so das Gericht, müsse stets in der letztwilligen Verfügung angeordnet werden. Zwar müsse dies nicht ausdrücklich oder mit einem bestimmten Wortlaut erfolgen, sondern könne auch durch Testamentsauslegung ermittelt werden. Der Wille, dass der Vorerbe befreit sein soll, müsse jedoch im Testament zumindest irgendwie angedeutet oder versteckt sein.
Umstände zählen nur, wenn man sie im Testament findet
Der Argumentation der Lebensgefährtin wurde damit nicht gefolgt. Die vertrat die Ansicht, die Befreiung ergebe sich daraus, dass der Erblasser ihr sein gesamtes Vermögen vererbte, sie finanziell absichern wollte und ihr umfassende Kontovollmacht erteilte. Ein weiterer Grund für die Annahme der Befreiung liege in der Minderjährigkeit der Nacherben im Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Mit der Befreiung der Vorerbin habe der Erblasser versucht, die Bestellung eines Pflegers für die Nacherben zu vermeiden.
All diese Umstände überzeugten das OLG München nicht, da es lediglich Umstände außerhalb des Testaments waren. Weder die Formulierung „mein ganzes Vermögen“ noch die Erteilung der Kontovollmacht seien ein hinreichendes Indiz für die Anordnung einer Befreiung.
Vorsicht Vorerbschaft
Der Fall zeigt, welches Konfliktpotential entsteht, wenn ein Laie ein Testament schreibt und weder die Instrumente noch die Begrifflichkeiten des Erbrechts genau kennt.
Gerade die Vor- und Nacherbschaft gehört zu den komplexesten Gestaltungen in der Nachfolge. In der Praxis sorgt sie häufig für Streit und ist auch im Hinblick auf die Erbschaftsteuer oft nachteilig. Daher ist es in der Regel sinnvoll, die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft nur in solchen Konstellationen in Erwägung zu ziehen, in denen sie rechtlich geboten ist. Dazu gehören zum Beispiel Testamente zugunsten überschuldeter Erben oder auch sogenannte Geschiedenentestamente.