Muss ein Hartz IV-Empfänger einen Pflichtteilsanspruch geltend machen?

Eine nicht voll überzeugende Entscheidung des Sozialgerichts zur Erbschaft nach Berliner Testament

Veröffentlicht am: 28.10.2016
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Eine nicht voll überzeugende Entscheidung des Sozialgerichts zur Erbschaft nach Berliner Testament

Vor dem Sozialgericht Mainz klagte ein Hartz IV-Empfänger gegen einen Bescheid, mit dem ihn das Jobcenter verpflichtete, einen Pflichtteilsanspruch aus einer Erbschaft geltend zu machen. Der Vater des Klägers war verstorben und hinterließ neben dem Kläger seine Ehefrau und einen weiteren Sohn.

Enterbung des ALG II-Empfängers durch Berliner Testament

Bereits 1990 hatte er mit seiner Frau einen Erbvertrag mit einer Regelung gemäß dem so genannten Berliner Testament errichtet. Bei dieser Testamentsform gehen die Kinder beim Versterben des ersten Elternteil erst mal leer aus.

Konkret lautete die Regelung: „Wir setzen uns gegenseitig, der Erstversterbende den Längstlebenden, zum alleinigen und unbeschränkten Erben ein ... Nach dem Tod des Längstlebenden von uns berufen wir als Erben auf dessen alsdann vorhandenen Nachlass unsere gemeinschaftlichen Kinder zu je ein halb… Falls einer unserer Abkömmlinge nach dem Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt, wird er mit seinen Nachkommen von der Erbfolge nach dem Längstlebenden sowie von jeder Zuwendung von Todes wegen ausgeschlossen. In diesem Fall sind sämtliche für ihn ... geleisteten Aufwendungen und Ausgaben sowie die bereits übertragenen Vermögenswerte auf den Pflichtteil anzurechnen, soweit dies gesetzlich zulässig ist.“

Als das Jobcenter vom Erbfall und dem Testament erfuhr, sollte der Leistungsempfänger Auskunft über den Nachlasswert geben und mitteilen, ob er gegen seine Mutter den Pflichtteil geltend machen wolle. Jobcenter bleibt hart – trotz erbrechtlicher Nachteile Letzteres lehnte dieser ab. Seine Mutter sei über 80, in Pflegestufe II und schwerbehindert. Die Pflegekosten seien erheblich.

Außerdem, so der Kläger, würde er bei Geltendmachung des Pflichtteils aufgrund der Pflichtteilsstrafklausel im Berliner Testament, gegenüber seinem Bruder benachteiligt, weil er dadurch für den Erbfall seiner Mutter enterbt würde. Das überzeugte das Jobcenter nicht und der Hartz IV-Empfänger wurde aufgefordert, den Pflichtteil geltend zu machen. Dieser betrug die Hälfte der gesetzlichen Erbquote und damit 1/8 des Gesamtnachlasses. Dagegen klagte dieser.

Pflichtteilsanspruch ist vorrangig einzusetzendes Vermögen

Auch das angerufene Sozialgericht wollte dem Kläger nicht helfen. Der gesetzliche Pflichtteilsanspruch gegen die alleinerbende Mutter sei vorrangig einzusetzendes Vermögen im Sinne des Sozialrechts. Im Nachlass sei Barvermögen vorhanden, das den Pflichtteilsanspruch des Klägers um ein Vielfaches übersteige. Der Pflichtteilsanspruch selbst sei deutlich höher als der Vermögensfreibetrag des Klägers in Höhe von 9.450 Euro.

Die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs, so das Gericht, sei auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich, weil – aufgrund der hohen Pflegekosten – gar nicht absehbar sei, wie werthaltig eines Tages die Erbschaft der Mutter ausfalle. Die automatisch greifende Enterbung für den zweiten Erbfall aufgrund der Pflichtteilsstrafklausel, falle daher nicht so ins Gewicht.

Konfliktsituation Berliner Testament

Auch sei es dem Kläger im Übrigen zumutbar, von seiner Mutter zu fordern. Eine solche familiäre Konfliktsituation trete beim Berliner Testament regelmäßig auf und sei daher keine besondere Härte im Sinne des Sozialrechts.

Außerdem stünde ja genügend Bargeld zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs zur Verfügung, so dass insbesondere keine Nachlasswerte liquidiert werden müssten. Und auch die eigenen finanziellen Verpflichtungen der Mutter konnten das Gericht nicht erweichen. Die könne sie, auch nach Auskehrung des Pflichtteils, noch mehrere Jahre vollständig selbst stemmen.

Diese Argumentation läuft allerdings der Annahme entgegen, dass der Kläger für den zweiten Erbfall ohnehin nicht mit einer Werthaltigkeit der Erbschaft rechnen könne und aus diesem Grund die Pflichtteilsstrafklausel keine größere Beachtung verdiene. Insoweit überzeugt die Entscheidung daher nicht.

Bindungswirkung & Pflichtteilsstrafklausel – gefangen im Erbrecht

Der Fall zeigt anschaulich einige Tücken des Erbrechts. Das Berliner Testament ist nach wie vor der beliebte Klassiker unter den letztwilligen Verfügungen. In vielen Konstellationen kommt es jedoch an seine Grenzen. Insbesondere wird es für viele Familien im Laufe der Zeit unzweckmäßig. Gerade wenn einzelne Erben Hartz IV-Empfänger, insolvent oder aufgrund einer Behinderung leistungsberechtigt sind, sollte über maßgeschneiderte erbrechtliche Lösungen vom Spezialisten bzw. Fachanwalt für Erbrecht nachgedacht werden.

Diese können den Einsatz der Testamentsvollstreckung sowie der Vor- und Nacherbschaft prüfen – Instrumente die in „normalen“ Konstellationen häufig eher mit Vorsicht zu genießen sind. Außerdem sollte stets überlegt werden, ob nicht beim Berliner Testament etwas mehr Flexibilität für spätere Änderungen eingebaut werden kann. Sowohl die Bindungswirkung für den überlebenden Ehegatten als auch die Automatismen in den Pflichtteilsstrafklauseln können beispielsweise aufgebrochen werden.

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