Wenn der Nachlass nichts mehr wert ist
Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den Beschenkten
Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den Beschenkten
Ein Beitrag von Ralph Butenberg, Fachanwalt für Erbrecht
Enterbt ein Erblasser ein Kind oder seinen Ehegatten, so steht dem Kind bzw. dem Ehegatten in aller Regel der sogenannte Pflichtteil zu. Die Enterbung erfolgt durch Testament, in dem der Erblasser einen anderen Erben bestimmt. Der Pflichtteilsanspruch ist ein Zahlungsanspruch gegen den Erben, der sich auf Zahlung eines Geldbetrages in Höhe der hälftigen gesetzlichen Erbquote richtet, § 2303 BGB.
Ein Beispiel: Der Erblasser E enterbt seinen einzigen Sohn S und setzt in seinem Testament als alleinige Erbin seine Ehefrau F ein. Rechtsfolge: Dem S steht gegen die F ein Pflichtteilsanspruch in Höhe der hälftigen gesetzlichen Erbquote zu. Diese hätte für den S ½ betragen, die Pflichtteilsquote beläuft sich demnach auf ¼.
Wert des Nachlasses als Bezugspunkt zur Berechnung des Pflichtteilsanspruches
Der Pflichtteilsanspruch berechnet sich sodann nach dem tatsächlichen Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls, § 2311 Abs. 1 BGB. Hat der Nachlass des E in unserem Beispiel einen Wert von EUR 100.000, ist der Pflichtteilsanspruch des S in Höhe von ¼ demnach mit EUR 25.000 zu beziffern.
Schenkungen des Erblassers lösen Pflichtteilsergänzung aus
Neben dem tatsächlich im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlass sind bei der Bezifferung des Pflichtteilsanspruches auch Schenkungen des Erblassers zu berücksichtigen, die er innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall an dritte Personen –oder auch an den Erben selbst- vornahm, § 2325 BGB. Diese bilden den so genannten Ergänzungsnachlass.
Weiterführung des Beispiels: Der Erblasser E schenkte 5 Monate vor seinem Ableben seinem Bruder B EUR 100.000. Dieser Geldbetrag befindet sich im Zeitpunkt des Erbfalles nicht mehr im Nachlass und kann deshalb nicht unmittelbar bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruches des S berücksichtigt werden. Allerdings erhöht diese Schenkung den Pflichtteilsanspruch des S rechnerisch, ihm steht ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung zu. Er kann im Ergebnis Zahlung in Höhe eines Wertes von ¼ des tatsächlichen Nachlasses und außerdem von ¼ des Ergänzungsnachlasses verlangen, mithin insgesamt EUR 50.000. Dieser Zahlungsanspruch richtet sich in unserem Beispiel unmittelbar gegen die Erbin F. Dies gilt nach dem Gesetz zwingend auch für den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Der Pflichtteilsberechtigte S muss seine Ansprüche gegen die Erbin F geltend machen und kann sich nicht auch an den Beschenkten B wenden.
Direktanspruch gegen den Beschenkten, falls der Nachlass nicht werthaltig ist
Reicht jedoch der tatsächlich vorhandene Nachlass nicht aus, um Pflichtteilsergänzungsansprüche zu erfüllen –und nur dann-, hat der Pflichtteilsberechtigte einen Direktanspruch gegen den Beschenkten inne, § 2329 BGB. Hätte der Erblasser E in unserem Beispiel also keinen werthaltigen Nachlass hinterlassen, müsste der Pflichtteilsberechtigte S seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch direkt gegen den Beschenkten B geltend machen. Er hätte gegen den B im Ergebnis einen Zahlungsanspruch in Höhe von EUR 25.000 inne.
Kenntnisunabhängiger Verjährungseintritt und früher Beginn der Verjährungsfrist
Dieser gesetzliche Direktanspruch unterliegt wie jeder Rechtsanspruch der regelmäßigen dreijährigen Verjährung. Allerdings wird häufig übersehen, dass die Verjährungsfrist nicht erst mit Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Pflichtteilsberechtigte von seinem Anspruch gegen den Beschenkten Kenntnis erhält. Dies gilt gem. §§ 194, 195, 199 Abs. 1 BGB nur für den „normalen“ Pflichtteilsanspruch. Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten bestimmt § 2332 Abs. 1 BGB ausdrücklich, dass die Verjährung bereits mit dem Tag des Erbfalls beginnt. Dies ferner vollkommen unabhängig davon, ob der Pflichtteilsberechtigte von der Schenkung und damit von seinem potenziellen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten weiß.
Die frühzeitige Geltendmachung von Auskunftsansprüchen ist Pflichtteilsberechtigten in jedem Erbfall deshalb unbedingt zu raten.