Vermächtnis statt Erbe?
Hierauf müssen Pflichtteilsberechtigte achten
Hierauf müssen Pflichtteilsberechtigte achten
Ein Beitrag von Rechtsanwältin Sybill Offergeld, Fachanwältin für Erbrecht und Familienrecht in Berlin
Menschen werden aus den unterschiedlichsten Gründen enterbt. Manchmal geschieht das aus ganz pragmatischen Erwägungen heraus. Wenn Erblasser pflichtteilsberechtigte Angehörige enterben, möchten sie dann diese nicht auf den Pflichtteil verweisen, sondern wählen die Möglichkeit des Vermächtnisses. In dieser speziellen Konstellation ist Folgendes zu beachten.
Zumindest der Pflichtteil
Im Gesetz ist vorgesehen, dass die nächsten Angehörigen Erben werden. Ist das nicht gewünscht, kann der Erblasser sie enterben. Dann greift das Pflichtteilsrecht. Es gewährt enterbten Kindern oder Ehegatten eine Mindestbeteiligung am Nachlass. Ein Pflichtteil entspricht der Hälfte des Wertes des gesetzlich vorgesehenen Erbteils. Gibt es zum Beispiel nur zwei erbberechtigte Kinder und wird ein Geschwisterkind enterbt, dann erhält das enterbte Kind nicht 50 Prozent des Nachlasses, sondern nur 25 Prozent.
Im Unterschied dazu: das Vermächtnis
Ein Vermächtnis ist ein Vermögensvorteil, der einer Person mittels Testament zugewendet werden kann. Im Fall der zwei Geschwister könnte die Mutter auf die Idee kommen, die Tochter für geschickter im Umgang mit Immobilien zu halten und sie als Alleinerbin einsetzen. Um ihren Sohn mehr als den Pflichtteil zukommen zu lassen, kann sie im Testament verfügen, was genau der Sohn erhalten soll. Ein Vermächtnis setzt im Übrigen keineswegs ein verwandtschaftliches Verhältnis voraus und kann auch einem Familienfremden zugewendet werden.
Pflichtteil und Vermächtnis
Stellt sich bei Testamentseröffnung heraus, dass ein Pflichtteilsberechtigter zugleich Vermächtnisnehmer ist, dann hat diese Person ein Wahlrecht: Sie kann entweder das Vermächtnis annehmen. Dann verliert sie den Anspruch auf den Pflichtteil, hat aber eventuell einen Pflichtteilsrestanspruch. Sie kann sich aber auch für den Pflichtteil entscheiden und verzichtet damit auf das Vermächtnis. Dann hat sie vielleicht einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Die Entscheidung kann schwierig sein und sie ist mit Vorsicht zu treffen.
Auskunftsrecht des Pflichtteilsberechtigten, keine Auskunft bei Vermächtnis
Um berechnen zu können, wie hoch der Pflichtteil ist, der einem zusteht, hat der Pflichtteilsberechtigte einen Auskunftsanspruch gegen den Erben. Dieser muss ein geordnetes Nachlassverzeichnis erstellen und wenn der Pflichtteilsberechtigte das will, muss das Verzeichnis durch einen Notar erstellt werden. Eine Vermächtnisnehmer*in hat dieses Recht auf Auskunft nicht.
Rechtzeitig Auskunft verlangen, also vor Ausübung des Wahlrechts
In einem gerichtlich entschiedenen Streit verlangte ein Pflichtteilsberechtigter, der das Vermächtnis angenommen hatte, einen Pflichtteilsrestanspruch von der Erbin. Ein solcher Anspruch entsteht, wenn das Vermächtnis wertmäßig kleiner ist als der Pflichtteil. Im Streitfall verlangte der Vermächtnisnehmer Auskunft, aber das Gericht verwehrte ihm diese.
Keine Auskunft nach Annahme des Vermächtnisses
Der Auskunftsanspruch ist nämlich ausgeschlossen, wenn die Vermächtnisnehmer*in den Pflichtteilsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr geltend machen kann. Es besteht dem BGH kein Informationsbedürfnis mehr und das Auskunftsverlangen ist daher rechtsmissbräuchlich. Hiervon ist stets auszugehen, wenn der Pflichtteilsberechtigte ein Vermächtnis annimmt, welches ihm anstelle des Pflichtteils zugewandt worden ist. Denn dann steht ihm, da er das Vermächtnis auszuschlagen und an dessen Stelle den Pflichtteil verlangen kann, der Pflichtteilsrestanspruch selbst dann nicht mehr zu, wenn das Vermächtnis hinter dem Wert des Pflichtteils zurückbleibt.
Es ist nicht nur vernünftig, sondern dringend anzuraten, vor der Ausübung des Wahlrechts zwischen Pflichtteil und Vermächtnis auf jeden Fall das Recht auf Auskunft auszuüben. Nur dann kann man ohne spätere Reue eine fundierte Entscheidung treffen.