Auslegung des Berliner Testaments
Enterbungsoption bei „familiären Zuwiderhandlungen“
Enterbungsoption bei „familiären Zuwiderhandlungen“
Ein Beitrag von Ralph Butenberg, Fachanwalt für Erbrecht in Hamburg
Das Ehegattentestament in Form des sogenannten Berliner Testaments ist der absolute Evergreen der letztwilligen Verfügungen in Deutschland. Doch auch wenn es jedes Jahr von vielen tausend Paaren errichtet wird, bleibt seine rechtliche Komplexität oft unerkannt. Außerdem können auch kleine Individualisierungen von Laien zu großen Auslegungsproblemen führen. So war es in einem vom OLG Bamberg zu entscheidenden Fall (Beschluss vom 09.10.2020 – 3 W 43/20).
Widerrufsmöglichkeit bei Fehlverhalten des Schlusserben
Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, bei dem ein Ehepaar sich gegenseitig zum Alleinerben und ihren gemeinsamen Sohn als Schlusserben eingesetzt hatte. Hinsichtlich einer möglichen Änderung wurde unter anderem bestimmt: „Auch im Fall, dass es mit unserem Sohn zu familiären Zuwiderhandlungen kommen sollte, sind wir berechtigt das Testament zu annullieren.“
Der Ehemann hatte zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits ein Verhältnis mit seiner Schwägerin, von dem die Ehefrau Kenntnis. In dem Konflikt um die Affäre stand der Sohn von Anfang an auf der Seite der Mutter.
Nach dem Tod seiner Frau errichtete der Ehemann ein notarielles Einzeltestament, in dem er seinen seine Schwägerin und seinen Sohn je zur Hälfte als Erben einsetzte:
„Ich habe seit ca. 9 Jahren eine enge Freundschaft mit Frau K. (= Beteiligte zu 2)…, die mich jeden Tag besucht und sich um mich kümmert.
Mit meiner verstorbenen Ehefrau habe ich unterm 18.08.1999 ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament errichtet. In diesem Testament haben wir unseren Sohn R. L. (= Beteiligter zu 1) zu unserem Schlusserben berufen, uns jedoch vorbehalten, das Testament zu widerrufen, falls es mit unserem Sohn zu „familiären Zuwiderhandlungen“ kommen sollte.
Mein Sohn R. L. hat mich in den letzten 2 Jahren nur viermal besucht und sich in den letzten 2 Jahren auch sonst nicht um mich gekümmert. Hierin sehe ich eine „familiäre Zuwiderhandlung“, die mich berechtigt, das vorgenannte privatschriftliche Testament abzuändern.“
Eine Erbschaft, zwei Erbscheinsanträge
Kaum überraschend kam es dann beim Versterben des Ehemanns zum Erbstreit. Während der Sohn auf der Grundlage des Berliner Testaments einen Erbschein beantragte, der ihn als Alleinerben ausweist, begehrte die Schwägerin einen Erbschein nach dem notariellen Einzeltestament, nach dem auch sie hälftige Erbin ist.
Das Nachlassgericht folgte dem Antrag der Schwägerin. Hiergegen legte der Sohn erfolglos Widerspruch ein und der Erbstreit landete vor dem OLG Bamberg. Die Richter am OLG entschieden tatsächlich anders als die Vorinstanz und gaben dem Sohn Recht. Dabei stützten sie sich auf die Bindungswirkung des Ehegattentestaments.
Keine abweichende Erbeinsetzung möglich
Bei der Schlusserbeneinsetzung im Berliner Testament handele es sich um eine wechselbezügliche Verfügung, an die der Erblasser nach dem Tod seiner Ehefrau gebunden war. Eine wirksame Änderung, so das OLG, sei nur unter den Voraussetzungen möglich, dass der auf eine „familiäre Zuwiderhandlung“ bezogene Änderungsvorbehalt eine abweichende Verfügung durch den Letztversterbenden erlaube und dieser sich dahin verstehen lasse, dass nach der übereinstimmenden Intention beider Eheleute das vom Erblasser dem Sohn vorgeworfene (Fehl-)Verhalten die Möglichkeit der Neutestierung eröffnen sollte.
Bereits die Annahme eines „einseitigen Widerrufsvorbehalts“ sei hier problematisch, da der Wortlaut („sind wir berechtigt“) eher dafür spreche, dass die Ehegatten nur gemeinsam eine Änderung vornehmen durften. Bei der Auslegung der Formulierung „Familie zuwider handeln“ kamen die Richter zu dem Ergebnis, dass hier von vornherein nur Vorgänge in Betracht kommen würden, die geeignet und nach ihrer objektiven Ausrichtung darauf angelegt seien, den Familienfrieden sowohl nachhaltig wie tiefgreifend zu beeinträchtigen, weil sei die Grundlagen eines gedeihlichen und geordneten Zusammenlebens in der Familie einschließlich des familiären Zusammenhalts untergraben bzw. zu gefährden drohen.
Das Verhalten des Sohnes aufgrund der Affäre des Vaters mit der Schwägerin würde nach diesen Kriterien keinen tauglichen Widerrufsgrund des Testaments darstellen.