Testierfähigkeit bei Alkoholsucht und Depression?

Streit im Erbscheinverfahren

Auch jenseits Demenz gibt es psychische Erkrankungen, welche die Geistestätigkeit so beeinflussen können, dass betroffene kein wirksames Testament mehr errichten können.

Veröffentlicht am: 30.01.2025
Qualifikation: Fachanwältin für Erbrecht und Steuerrecht
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Immer häufiger streiten Angehörige und potenzielle Erben im Erbscheinverfahren beim Nachlassgericht darum, ob ein Testament gültig ist. Dabei spielt oft die Frage nach der sogenannten Testierfähigkeit des Erblassers eine zentrale Rolle - vor allem, wenn die Diagnose “Demenz” im Raum steht. Aber auch Alkoholismus oder eine Depression können die Testierfähigkeit beeinträchtigen. Wann diese Befunde zur Testierunfähigkeit führen, musste das Oberlandesgericht Brandenburg entscheiden (OLG Brandenburg, 21. März 2024 - 3 W 28/24). 

Handschriftliches Testament, Abschiedsbriefe und Selbstmord

In dem Fall ging es um den Erbfall eines Mannes, der in einem handschriftlichen Testament im März 2020 verfügte, dass seine Ziehtochter “all seinen Besitz”, bestehend aus Grundbesitz, Mobiliar, Haushaltsgegenständen, einem Kleingarten und Bankguthaben erben solle. 

Einige Tage nachdem er diesen letzten Willen zu Papier gebracht hatte, schrieb er einen Abschiedsbrief mit folgender Passage: “Das Mobbing, meine Krankheiten, meine Arthrose, die mir die Zukunft vorhersagt und meine Existenzängste nur verstärkt hat, meine Atemschwierigkeiten und und und, vor allem das Fehlen jeglichen Enthusiasmus, jeglichen Lebenswillen, haben seit Monaten dazu geführt, dass sich mein Entschluss immer mehr gefestigt hat. Ich mußte, wollte nur noch alle Erbschaftsangelegenheiten regeln, was alles nur vor sich hergeschoben hat…”. In einem weiteren Abschiedsbrief Ende Juni 2020 schrieb er: “Ich bin nicht verrückt, ich habe diese Entscheidung über lange Zeit geplant und dabei ständig nachgedacht, welchen anderen Weg es für mich geben kann.”

Kurz darauf, am 2. Juli 2020, beging der Mann Selbstmord. Er war bereits seit vielen Jahren bei einem Facharzt Psychosomatische Medizin in Behandlung, da er an einer (manisch-)depressiven bis hin zu einer bipolaren Störung litt und Alkoholmissbrauch betrieb. 

Schwester und Testaments-Erbin streiten um den Nachlass

Die Ziehtochter des Verstorbenen stellte einen Erbscheinsantrag beim Nachlassgericht, der sie als Alleinerbin ausweist und berief sich dabei auf das Testament. Dem widersprach jedoch die Schwester des Erblassers, die gesetzliche Erbin. Ihrer Ansicht nach war ihr Bruder, als er sein Testament schrieb, nicht mehr testierfähig im Sinne von § 2229 BGB. Daher sei sein letzter Wille nicht wirksam. 

§ 2229 Absatz 4 BGB | Testierfähigkeit

Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann ein Testament nicht errichten.

Der Facharzt, der vom Nachlassgericht schriftlich befragt wurde, und den Verstorbenen zuletzt im Februar 2020 behandelt hatte, führte aus, dass der Erblasser "in dem relevanten Zeitraum testierfähig war und in der Lage, die Tragweite seiner Handlungen zu erkennen". Das habe er dem Inhalt des Abschiedsbriefs entnehmen können. Die Nachlassrichterin holte zudem noch eine fachpsychiatrisches Sachverständigengutachten ein, nach dem ebenfalls trotz der Vorerkrankungen keine Hinweise dafür vorlägen, dass der Erblasser nicht testierfähig gewesen sei. Daher wurde der beantragte Erbschein erlassen. 

Die Schwester des Erblassers erhob hiergegen Beschwerde, weil von ihr benannte Zeugen nicht gehört worden seien und eine beantragte Neubegutachtung der Testierfähigkeit vom Gericht abgelehnt wurde. So landete der Fall beim OLG Brandenburg, das jedoch die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigte. 

Wann wird Alkoholsucht zur Geisteskrankheit?

Alkoholismus, so das OLG, begründe nicht schon als solcher eine Testierunfähigkeit. Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 2229 BGB liege nur vor, wenn die Sucht als solche Symptom einer schon vorhandenen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche sei oder der durch die Sucht verursachte Abbau der Persönlichkeit den Wert einer Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit erreicht habe. Hierfür sah das Gericht keine Anzeichen. 

Es nahm auch nicht an, dass der Erblasser, als er das Testament schrieb, volltrunken war. Zwar hatte dieser im Abschiedsbrief geschrieben, dass er täglich 10 bis 12 Flaschen Bier trinke. Für sich genommen reiche das aber nicht aus, um auf einen entsprechenden Rauschzustand bei der Verfassung des Testaments zu schließen.

Depression kann die Testierfähigkeit einschränken

Hinsichtlich der manisch-dpressiven Erkrankung des Erblassers wurde in der Entscheidung ausgeführt, dass Depressionen zeitweise zur Testierunfähigkeit führen könnten. Das sei abhängig von Dauer, Intensität und Periodik. Vorliegend sah jedoch weder die Sachverständige noch das OLG konkrete Hinweise, dass der Erblasser aufgrund seiner Depression nicht in der Lage war, die Bedeutung seiner testamentarischen Erklärung einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Schließlich habe er die gesamte Erbschaftsangelegenheit akribisch geplant. 

Im Ergebnis behielt im streitigen Erbscheinsverfahren somit die im Testament eingesetzte Ziehtochter die Oberhand. Die Schwester erhielt keine Erbenstellung und kann auch keinen Pflichtteilsanspruch geltend machen, da sie als Schwester zwar im konkreten Fall gesetzliche Erbin ist, aber nicht zum pflichtteilsberechtigten engsten Familienkreis des Erblassers gehört. 

Video: Streit im Erbscheinverfahren

Rechtsanwalt Bernfried Rose erklärt in diesem Video, wie man als Erbe oder Enterbter erfolgreich beim Nachlassgericht um die Gültigkeit eines Testaments kämpft.