6%-Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen verfassungswidrig
Bundesverfassungsgericht kippt aktuelle Regelung
Bundesverfassungsgericht kippt aktuelle Regelung
Ein Beitrag von Dirk Mahler, Fachanwalt für Steuerrecht und Steuerberater in Berlin
Steuernachforderungen unterliegen ab einem bestimmten Zeitpunkt einer Verzinsung. Die Höhe der Verzinsung ist pauschal mit 0,5 Prozent pro Monat gesetzlich festgelegt. Hieraus ergibt sich ein Zinssatz von 6 Prozent pro Jahr. Diese Pauschalierung diente schlichtweg der Vereinfachung, da man auf eine variable Verzinsung (anders als im Zivilrecht) verzichten wollte.
Regelung der Verzinsung in § 233a AO
§ 233a AO regelt die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen. Die Verzinsung betrifft den Zeitraum zwischen der Entstehung der Steuer und ihrer Festsetzung (Grundsatz der Vollverzinsung). Der Zinslauf beginnt allerdings nicht bereits mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, sondern erst nach einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten. Von der Vollverzinsung betroffen sind damit lediglich diejenigen Steuerpflichtigen, deren Steuer erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums nach der Entstehung des Steueranspruchs erstmalig festgesetzt oder geändert wird. Praktisch bedeutsam sind insoweit insbesondere (geänderte) Steuerfestsetzungen nach einer Außenprüfung. Die Zinsen betragen nach § 238 Abs. 1 AO für jeden vollen Monat des Zinslaufs 0,5 %, mithin 6 % jährlich. Von der Verzinsung erfasst werden nur die in § 233a Abs. 1 Satz 1 AO abschließend aufgezählten Steuerarten der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermögensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer. Die Vollverzinsung wirkt sowohl zugunsten (im Fall der Steuererstattung) als auch zuungunsten (im Fall der Steuernachforderung) der Steuerpflichtigen. Die Gründe für eine späte Steuerfestsetzung und insbesondere, ob die Steuerpflichtigen oder die Behörde hieran ein Verschulden trifft, sind für die Verzinsung unerheblich.
Wegen der aktuell niedrigen Verzinsung erschien der Zinssatz grundsätzlich als zu hoch und damit als verfassungswidrig. Nach einem sehr lang andauernden Verfahren hat sich das Bundesverfassungsgericht dieser Meinung angeschlossen und die Höhe der Verzinsung ab dem Jahr 2014 für verfassungswidrig erklärt. (BVerfG, Entscheidung vom 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17)
Bundesverfassungsgerichts sieht Ungleichbehandlung der Steuerschuldner
Die Verzinsung von Steuernachforderungen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten stellt eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wird, dar. Diese Ungleichbehandlung erweist sich gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume noch als verfassungsgemäß, für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume dagegen als verfassungswidrig. Eine geringere Ungleichheit bewirkendes und mindestens gleich geeignetes Mittel zur Förderung des Gesetzeszwecks bestünde insoweit in einer Vollverzinsung mit einem niedrigeren Zinssatz. Die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO mit dem Grundgesetz umfasst ebenso die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen. Das bisherige Recht ist für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume weiter anwendbar. Für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume sind die Vorschriften dagegen unanwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.
Folgen der Entscheidung – Rückwirkende Änderung?
Eine rückwirkende Änderung bestehender Steuer- bzw. Zinsbescheide setzt zunächst voraus, dass diese formell abänderbar sind. Dies setz voraus, dass gegen entsprechende Bescheide entweder Einspruch erhoben worden ist oder bei Erlass des Bescheides ein entsprechender Vorläufigkeitsvermerk mit aufgenommen worden ist. Die Finanzverwaltung hat vor dem Hintergrund des laufenden Verfahrens bei Bescheiden der jüngeren Vergangenheit einen entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk erlassen.
In diesen Fällen ändert die Finanzverwaltung die entsprechenden Bescheide automatisch ab. Hier bleibt jedoch zunächst die Neuregelung des Gesetzgebers abzuwarten Hierfür hat das Bundesverfassungsgericht eine Frist bis zum 31. Juli 2022 gesetzt. Eine schnelle Auswirkung ist daher nicht zu erwarten.
Übrigens, etwaige Rückforderungen aus den Zinsansprüchen unterliegen keiner Verzinsung.