Steuerlicher Evergreen "Hinzuschätzung"

Ungereimtheiten nach Betriebsprüfung

Sind Hinzuschätzungen im Rahmen der Betriebsprüfung uneingeschränkt zulässig? Dürfen Fehlbeträge bei unklarer Mitteleinkunft als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) gewertet werden?

Veröffentlicht am: 21.02.2023
Qualifikation: Fachanwalt für Steuerrecht in Köln
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Hinzuschätzungen im Anschluss an Betriebsprüfungen wegen unvollständiger bzw. nicht ordnungsgemäßer Buchführung sind nach wie vor ein Dauerbrenner in der steuerlichen Beratungspraxis. Nicht selten werden bereits geringfügige Ungereimtheiten oder das Fehlen nur einzelner Belege durch überbeflissene Betriebsprüfer zum Anlass genommen, die Buchführung zu verwerfen und Hinzuschätzungen in teils grotesker Höhe vorzunehmen. Mag der Steuerpflichtige sich doch wehren, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt…

„Sicherheitsaufschläge“ oder doch eher Strafzuschläge?

Hieran hat sich auch nach den insofern schon als richtungsweisenden zu bezeichnenden Entscheidungen des Bundesfinanzhofs aus 2017 und 2018, welche besagen, dass eine Schätzung sowohl schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein muss, was im Zweifel durch das Finanzamt nachzuweisen ist (BFH-Urteil vom 20.3.2017, X R 11/16 und vom 26.2.2018, X B 53/17) nicht viel geändert; jedenfalls im Streitverfahren hat das Finanzamt die angewandte Schätzmethode und das hierauf basierende Ergebnis auch zu erläutern (BFH 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921).

Immer wieder wird vor diesem Hintergrund nach – oft erfolglosem – Einspruch ein aufgrund Schätzung nach Betriebsprüfung geänderter Bescheid zum Gegenstand eines Klageverfahrens beim Finanzgericht, bei denen sich vermeintliche „Sicherheitsaufschläge“ bei Lichte betrachtet als – selbstverständlich unzulässige – Strafzuschläge für die vermeintliche Nichtbeachtung der Buchführungs- bzw. Aufzeichnungspflichten durch den Steuerpflichtigen herausstellen.

Bislang: Fehlbeträge als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) gewertet

Mit einem besonders überbeflissenen Betriebsprüfer bekam es das Finanzgericht Münster in seiner Entscheidung vom 18. Mai 2022 zu tun (FG Münster, 10 K 261/17 K, U). Dort hatte die Betriebsprüfung Aufzeichnungsmängel in Bezug auf eine offene Ladenkasse bei einer GmbH bemängelt. Der alleinige Gesellschafter versuchte dies dahingehend aufzuklären, dass er entsprechende Einlagen in Kasse aus seinem Privatvermögen vorgenommen hätte.

Die Betriebsprüfung wertete daraufhin die Privatkonten des Gesellschafters aus und stellte aufgrund einer sog. Bargeldverkehrsrechnung Fehlbeträge fest. Das Finanzamt behandelte diese Fehlbeträge im Rahmen seiner Hinzuschätzung dann als Mehreinnahmen der klagenden GmbH und zugleich als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) an den Alleingesellschafter.

Jetzt: Hinzuschätzung wegen unklarer Mittelherkunft unzulässig

Dem hat das FG Münster mit der o.g. Entscheidung einen Riegel vorgeschoben. Allein der Umstand, dass auf Ebene des Gesellschafters Vermögenszuwächse nicht nachvollziehbar seien, rechtfertige noch lange nicht die Vermutung, dass diese dem Gesellschafter aufgrund einer verdeckten Gewinnausschüttung durch die GmbH zugeführt wurden. Insofern komme eine Hinzuschätzung bei der GmbH allein wegen unklarer Mittelherkunft bei ihrem Gesellschafter nicht in Betracht.

Hinzuschätzungen bei Betriebsprüfung fallen am Ende geringer aus

Der Fall des FG Münster veranschaulicht nochmals deutlich, dass es sich durchaus lohnen kann, Hinzuschätzungen durch die Betriebsprüfung nicht unbeanstandet hinzunehmen. Selbst wenn eine Hinzuschätzung wegen formeller und/oder materieller Mängel der Buchführung/Aufzeichnungen dem Grunde nach in Betracht kommt, so wird doch das Ausmaß der Hinzuschätzung nach unserer Erfahrung in der Regel durch das Finanzgericht teils deutlich nach unten korrigiert.