Das gemeinschaftliche Testament bei erneuter Heirat

Anfechtung möglich?

Veröffentlicht am: 10.07.2019
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
Lesedauer:

Anfechtung möglich?

Ein Beitrag von Ralph Butenberg, Fachanwalt für Erbrecht in Hamburg

Errichten Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament (etwa ein Berliner Testament), so werden sog. wechselbezügliche Verfügungen der Ehegatten im Zeitpunkt des Ablebens des ersten Ehegatten bindend, was regelmäßig für die Schlusserbeneinsetzung gemeinsamer Kinder gilt. Nachfolgenden Testamenten des länger lebenden Ehegatten fehlt aufgrund dieser Bindungswirkung regelmäßig die Wirksamkeit, der länger lebende Ehegatten ist nach dem Gesetz nicht mehr frei testierfähig. Mitunter ändern sich jedoch nach dem Ableben des ersten der beiden Ehegatten die Lebensverhältnisse so, dass der verwitwete Ehegatte eine andere testamentarische Verfügung errichten möchte. Dies beispielsweise im Fall einer erneuten Heirat. Nach dem Gesetz kann in einer solchen Situation das gemeinschaftliche (Alt)Testament angefochten werden, um dadurch seine Testierfähigkeit wieder zu erlangen.

Gegenseite Einsetzung zu Alleinerben und Schlusserbenbestimmung

Ehemann M und Ehefrau F errichten ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich zunächst gegenseitig als Alleinerben einsetzen und sodann bestimmen, dass ihre gemeinsamen Kinder Sohn S und Tochter T Schlusserben nach dem letztversterbenden der beiden Ehegatten sein sollen.

Die Schlusserbeneinsetzung zugunsten der beiden gemeinsamen Kinder steht nach dem Gesetz in einem wechselbezüglichen Verhältnis zu der jeweiligen Alleinerbeneinsetzung, § 2270 BGB.

Eintritt der Bindungswirkung

Rechtsfolge dieser wechselbezüglichen Verfügung ist, dass die Schlusserbeneinsetzung der beiden Kinder nach dem Tod des erstversterbenden der Eltern bindend wird. Dies bedeutet, dass der länger lebende Ehegatte an der Schlusserbeneinsetzung zugunsten der beiden Kinder nichts mehr ändern kann, insbesondere kann der länger lebende Ehegatte kein neues Testament errichten, in dem er beispielsweise eins der Kinder enterbt.

Beseitigung der Bindung durch Anfechtung des eigenen Testaments

Weithin unbekannt sind die gesetzlichen Möglichkeiten zur Beseitigung der Bindungswirkung durch Anfechtung der testamentarischen Verfügungen. Ein solches Anfechtungsrecht besteht beispielsweise in dem Fall, in dem der länger lebende Ehegatte nach dem Tod des ersten Ehegatten erneut heiratet. In diesem Fall tritt nämlich durch den neuen Ehegatten ein Pflichtteilsberechtigter hinzu. Der länger lebende Ehegatte ist nunmehr berechtigt, seine eigene wechselbezügliche Verfügung – die Schlusserbeneinsetzung zugunsten der gemeinsamen Kinder – anzufechten, §§ 2079, 2281 BGB. Die Anfechtungserklärung muss notariell beurkundet werden, § 2281 Abs. 3 BGB, und innerhalb eines Jahres ab Entstehung des Anfechtungsgrunds durchgeführt werden, § 2283 Abs. 1 und 2 BGB.

Im Fall der erneuten Heirat ist regelmäßig das Datum der erneuten Eheschließung der Zeitpunkt, in dem die Anfechtungsfrist beginnt.

Fehlende Anfechtung: Unwirksamkeit aller weiteren Testamente

Wird die Anfechtung des vorhergehenden bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testaments nicht durchgeführt, führt dies regelmäßig zur Unwirksamkeit aller nachfolgenden Testamente. Diese zwingende Rechtfolge entspricht den geänderten Lebensverhältnissen nach erneuter Heirat jedoch regelmäßig in keiner Weise mehr. Konflikte zwischen den durch das zeitlich frühere gemeinschaftliche Testament bedachten Schlusserben und beispielsweise dem zweiten Ehegatten sind fast zwangsläufig vorprogrammiert- und in der Praxis sehr häufig.

Anfechtungsrecht für die Erben?

Das Anfechtungsrecht kann übrigens auch auf den Erben eines anfechtungsberechtigten Erblassers übergehen. Dies ist dann der Fall, wenn der anfechtungsberechtigte Erblasser innerhalb der Anfechtungsfrist verstirbt.

Wäre in unserem oben genannten Beispiel der länger lebende Werner innerhalb eines Jahres nach seiner Eheschließung mit seiner zweiten Frau Sonja verstorben, so könnte Sonja als pflichtteilsberechtigte Ehefrau das ursprüngliche Testament von Werner anfechten und damit die Schlusserbeneinsetzung zugunsten der Kinder aus erster Ehe beseitigen.

Jedem Erblasser, der sich durch ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag in seiner Testierfähigkeit gebunden hat, ist deshalb bei Änderungen seiner Lebensverhältnisse, wie z.B. einer erneuten Heirat oder der Adoption eines Kindes, dazu zu raten, seine bisherigen testamentarischen oder erbvertraglichen Verfügungen zu überprüfen und  gegebenenfalls anzufechten. Nichts tun resultiert regelmäßig in der Beibehaltung einer erbrechtlichen Regelung, die den Lebensverhältnissen des Erblassers und den Bedürfnissen der Angehörigen nicht mehr entspricht.