Bindungswirkung im Berliner Testament

Erbstreit um die Auslegung des letzten Willens

Wenn Ehegatten ein gemeinschaftliches Ehegattentestament errichten, müssen sie insbesondere die hierdurch entstehende Bindungswirkung beachten. Die Aufnahme eines Änderungsvorbehalts soll dem letztversterbenden Ehegatten eine gewisse Flexibilität gewährleisten, jedoch müssen derartige Klauseln wohl durchdacht sein, um tatsächlich eine Änderung des gemeinschaftlichen Testaments zu erlauben.

Veröffentlicht am: 04.01.2021
Qualifikation: Rechtsanwalt in Hamburg
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Im Zweifel ist der wahre Wille der Erblasser durch Auslegung zu ermitteln. Ein aktuelles Beispiel hierfür liefert die nachfolgende Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg (Beschluss vom 9. Oktober 2020 – Aktenzeichen 3 W 43/20).

Ehegattentestament als Berliner Testament

Der Erblasser und seine 2013 vorverstorbene Ehefrau haben mit gemeinschaftlichem Testament als Schlusserben ihren einzigen Sohn (im Folgenden auch „Beteiligter 1)“) bestimmt. Es handelt sich um ein sogenanntes „Berliner Testament“.

Das Testament enthielt unter anderem folgende Klausel:

„Erben außerhalb der Familie kommen nicht in Frage und somit hat unser Sohn vollen Anspruch auf das vorgenannte Erbgut. […]

Auch im Fall, dass es mit unserem Sohn zu familiären Zuwiderhandlungen kommen sollte, sind wir berechtigt das Testament zu annullieren.“

Notarielles Änderungstestament

Nach dem Tod seiner Frau erließ der Erblasser 2014 ein neues notariellem Testament. Hierin war sein Sohn nur noch ½ Miterbe, daneben setzte der Erblasser seine Lebensgefährtin (im Folgenden „Beteiligte 2)“), mit der er bereits zu Lebzeiten seiner Ehefrau eine außereheliche Affäre hatte, zu ½ als Miterbin ein. Im Abschnitt „Vorbemerkungen“ begründete der Erblasser im notariellen Testament, dass sich zur Beteiligten 2) eine enge Freundschaft entwickelt habe, während sein Sohn ihn in den letzten zwei Jahren nur viermal besucht und sich auch sonst nicht um ihn gekümmert habe. Nach seiner Ansicht sei das ausreichend gewesen, um eine „familiäre Zuwiderhandlung“ zu begründen und somit das gemeinschaftliche Ehegattentestament auszuhebeln.

Alleinerbe oder Miterben?

Aus diesem Grund beantragte auf der einen Seite die Beteiligte zu 2) die Erteilung eines Erbscheins, wonach sie und der Beteiligte zu 1) je zu ½ Miterben sein sollten, während der Beteiligte zu 1) auf der anderen Seite einen Erbschein beantragte, der nur ihn als Alleinerben ausweisen sollte. Das Nachlassgericht folgte der Argumentation der Beteiligten zu 2), wonach eine familiäre Zuwiderhandlung des Beteiligten zu 1) vorgelegen habe, da der Beteiligte zu 1) dem Erblasser zu wenig Zuneigung entgegengebracht habe, sodass der Erblasser daher frei neu testieren durfte. Der Beteiligte zu 1) wollte dies nicht auf sich sitzen lassen und legte gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts Beschwerde ein. Der Fall landete vor dem Oberlandesgericht Bamberg.

Testamentsauslegung durch das Oberlandesgericht

Die Richter stellten zunächst fest, dass es sich bei der im gemeinschaftlichen Testament ausgesprochenen Schlusserbenbestimmung um eine wechselbezügliche Verfügung beider Ehegatten handelt, sodass der Erblasser nach dem Tode seiner Ehefrau grundsätzlich hieran gebunden war, §§ 2270, 2271 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Eine rechtswirksame Änderung der Schlusserbenanordnung konnte daher nur vorgenommen werden, wenn eine „familiäre Zuwiderhandlung“ des Sohnes vorgelegen hätte. Hierbei handele es sich nicht um einen feststehenden rechtlichen Begriff, sodass die Erforschung des Willens der Ehegatten (Auslegung) erforderlich wurde. Bei Berücksichtigung der Tatsache, dass die Ehegatten explizit festgelegt haben, dass der gemeinsame Sohn alles erben solle und (nur) bei einer „familiären Zuwiderhandlung“ ein anderer Schlusserbe eingesetzt werden könne, muss davon ausgegangen werden, dass ein solcher Tatbestand als absoluter Ausnahmefall angedacht worden sei. Es müsse sich um eine schwerwiegende extreme Verfehlung des ursprünglich begünstigen Sohnes handeln. Eine solche konnten die Richter jedoch nicht erkennen. Allein die mangelnde Kontaktaufnahme für einen relativ kurzen Zeitraum begründet keinen extremen Ausnahmefall; insbesondere da die Versorgung des Erblassers zu jedem Zeitpunkt gesichert war.

Hinzu kommt erschwerend, dass der Konflikt zwischen dem Erblasser und seinem Sohn seinen Ursprung in der außerehelichen Affäre des Erblassers und der Beteiligte zu 2) hatte. Es könne jedoch nicht sein, dass ein Verhalten des Erblassers und die (nachvollziehbare) Reaktion des Sohnes hierauf, als außergewöhnliches Fehlverhalten des Sohnes ausgelegt werde. Gerade vor dem Hintergrund, dass es sich vorliegend um ein gemeinschaftliches Ehegattentestament handelt, könne ausgeschlossen werden, dass die Ehegatten einen solchen Fall im Blick gehabt hätten, bei dem ein Streit zwischen dem Letztversterbenden und dem gemeinsamen Sohn aufgrund einer außerehelichen Beziehung des Letztversterbenden beruhe.

Änderung des Testaments ausgeschlossen

Die Konsequenz dieser richterlichen Beurteilung war, dass eine Abänderung der Schlusserbenbestimmung an der Bindungswirkung des ursprünglichen Testaments scheiterte. Die abweichende Anordnung war unwirksam und somit bekam letztendlich der Beteiligte zu 1) recht und erhielt einen Erbschein, der ihn als Alleinerben auswies.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts zeigt deutlich auf, dass allein die Aufnahme eines Änderungsvorbehalts in ein gemeinschaftliches Ehegattentestaments keineswegs dem überlebenden Ehegatten freie Hand gewährt, die gemeinsam getroffenen Regelungen nach dem Tod des Ehegatten wieder einseitig aufzuheben. Insbesondere auslegungsfähige Vorbehaltstatbestände sind – wie im dargestellten Fall – sehr streitanfällig und sollten daher – wenn überhaupt - nur großer Vorsicht und nach fachkundiger Beratung eingesetzt werden.