Pflichtteilsergänzungsansprüche richtig berechnen
Ein Minenfeld im Erbrecht
Ein Minenfeld im Erbrecht
Ein Beitrag von Ralph Butenberg, Fachanwalt für Erbrecht
Pflichtteilsergänzungsansprüche führen in der Praxis schnell auf heikles Terrain. Dies nicht allein deshalb, weil der Erbe es häufig als unbotmäßig empfindet, dass der Pflichtteilsberechtigte Auskunft über lebzeitige Zuwendungen des Erblassers verlangt und diese dem Erben sodann bei der Geltendmachung des Pflichtteils regelrecht „vorhält“.
Nicht ganz ohne: Berechnung der Pflichtteilsergänzung
Heikel ist oftmals die zutreffende Berechnung der Werte der Güter des so genannten „Ergänzungsnachlasses“. Wir erinnern uns: Alle Güter, die der Erblasser innerhalb einer 10-Jahres-Frist vor dem Erbfall an Dritte verschenkt, werden rechnerisch (und wertmäßig abgestuft bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruches berücksichtigt. Neben den Gesamtwert aller Güter des tatsächlich vorhandenen Nachlasses tritt der Wert aller innerhalb der Ergänzungsfrist verschenkten Güter, mithin der Gesamtwert des Ergänzungsnachlasses (vgl. dazu etwa Demuth/Butenberg/Schubert, Der Familienpool als Instrument der Vermögensnachfolge, NWB-EV 2019, 53, 56 f.).
Welcher Wert zu welchem Zeitpunkt? Das Niederstwertprinzip
Für die Bewertung der einzelnen Güter des Ergänzungsnachlasses bestimmt § 2325 Abs. 2 BGB wörtlich:
„Eine verbrauchbare Sache kommt mit dem Werte in Ansatz, den sie zur Zeit der Schenkung hatte. Ein anderer Gegenstand kommt mit dem Werte in Ansatz, den er zur Zeit des Erbfalls hat; hatte er zur Zeit der Schenkung einen geringeren Wert, so wird nur dieser in Ansatz gebracht.“
Bei verbrauchbaren Sachen (typischerweise Geld, Wertpapiere etc.) ist demnach der Wert im Zeitpunkt der Schenkung für die Pflichtteilsergänzung maßgeblich.
Bei nicht verbrauchbaren Sachen (typischerweise Immobilien) gilt nach dem Gesetz hingegen das Niederstwertprinzip: Hiernach ist entweder der Wert im Zeitpunkt der Schenkung oder aber im Zeitpunkt des Erbfalls anzusetzen, je nachdem, welcher der beiden Werte niedriger ist. Werden die Werte von Immobilien durch Sachverständigengutachten ermittelt, muss der Sachverständige also gleich zwei Werte zu unterschiedlichen Zeitpunkten ermitteln.
Kaufkraftverlust: Inflationsbereinigung der Werte erforderlich
Außerdem sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Werte zu den jeweiligen Schenkungszeitpunkten in inflationsbereinigter Form festzustellen (BGH-Urteil vom 08.04.1992, IV ZR 2/91), der Kaufkraftschwund muss insbesondere bei der Feststellung von Verkehrswerten durch Sachverständigengutachten berücksichtigt werden.
Schenkungen unter Nießbrauchsvorbehalt
Besonderheiten ergeben sich, wenn der Erblasser eine Immobilie unter Nießbrauchsvorbehalt (oder auch unter Vorbehalt eines Wohnrechts) verschenkte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ermittelt sich in diesem Fall der Wert der Schenkung aus der Differenz der geschenkten Immobilie einerseits und andererseits dem Wert des vorbehaltenen und vom Erblasser weiterhin ausgeübten Nutzungsrechts (grundlegend BGH-Urteil vom 30.05.1990, IV ZR 254/88). Der Wert der geschenkten Immobilie wird –folgerichtig- um den Wert des weiterhin vom Erblasser ausgeübten Nutzungsrechts vermindert. Derartige Nutzungsrechte können übrigens durchaus erhebliche Werte haben, bei der Immobiliennutzung würde beispielsweise eine Bewertung anhand der ortsüblichen Vergleichsmieten erfolgen. Die so ermittelte „Jahresmiete“ würde sodann anhand der amtlichen Sterbetabellen kapitalisiert also unter Berücksichtigung eines Abzinsungsfaktors auf die statistische Restlebenserwartung des Erblassers oder der Erblasserin umgerechnet. Bei einem im Zeitpunkt der Schenkung 65-jährigen Mann würde beispielsweise ein Kapitalisierungsfaktor von 11,480, bei einer 65-jahrigen Frau ein Faktor von 12,613 angewendet (vgl. Bekanntmachung des BMF vom 22.11.2018, IV C 7 -S 3104/09/10001).
Um in derartigen Fällen unter Berücksichtigung des Niederstwertprinzips zu zutreffenden Ergebnissen zu gelangen, ist nach der Rechtsprechung zweistufig vorzugehen:
Zweistufige Wertermittlung
Zunächst ist der Wert der Immobilie zum Zeitpunkt der Schenkung und unter Berücksichtigung des Kaufkraftverlustes, sodann der Wert der Immobilie zum Zeitpunkt des Erbfalls festzustellen. Wohlgemerkt: Ohne Berücksichtigung des vom Erblasser bei der Schenkung vorbehaltenen Nutzungsrechts. Von den beiden Werten ist sodann der niedrigere Wert zu berücksichtigen – Niederstwertprinzip. Ist nun der Schenkungswert niedriger, wird das vom Erblasser vorbehaltene Nutzungsrecht wertmindernd berücksichtigt. Ist jedoch der Wert der Immobilie am Tag des Erbfalls niedriger, wird dieser Wert ohne Wertminderung aufgrund des vom Erblasser vorbehaltenen Nutzungsrechts angesetzt (BGH-Urteil vom 08.03.2006, IV ZR 263/04). Mitunter entscheidet also die mehr oder weniger zufällige Wertentwicklung von Immobilien darüber, ob im Ergebnis bei der Berechnung der Pflichtteilsergänzung ein eher geringer (Schenkungswert und Berücksichtigung des Nutzungsrechts) oder eher hoher Wert (Erbfallwert und keine Berücksichtigung des Nutzungsrechts) angesetzt wird.
Die rechtlich sichere und wertmäßig zutreffende Berechnung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen ist und bleibt insbesondere bei vorbehaltenen Nutzungsrechten heikel. Ohne entsprechende und fundierte Kenntnisse gehen in der Praxis derartige Bewertungsfragen häufig schief. Setzen Sie stattdessen auf Spezialisierung: Unsere Fachanwälte für Erbrecht stehen Ihnen gern zur Verfügung.