Irrtum über die Größe der Erbschaft

Anfechtung einer versehentlichen Erbausschlagung

Die Entscheidung, ob eine Erbschaft angenommen oder ausgeschlagen wird, ist oft schwierig und hat in der Regel weitreichende Konsequenzen.

Veröffentlicht am: 03.09.2024
Qualifikation: Fachanwältin für Erbrecht und Mediatorin
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Nicht jede Erbschaft ist ein Geldsegen. Viele Erblasser hinterlassen gar nichts oder sogar Schulden. In diesen Fällen ist dann häufig die Ausschlagung des Erbes geboten. Doch was ist, wenn sich nach der Ausschlagung herausstellt, dass der Nachlass doch sehr werthaltig war? Das Oberlandesgericht Frankfurt musste vor Kurzem einen Fall entscheiden, bei dem sich eine erbende Tochter über das Vermögen ihrer Mutter geirrt hatte (OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Juli 2024, Az. 21 W 146/23).

Umstände deuten auf eine Überschuldung des Nachlasses hin

Die Tochter lebte seit ihrer Kindheit nicht mehr bei der Mutter, da diese alkoholkrank war. Die Kriminalbeamtin, die ihr das Versterben der Mutter mitteilte, berichtete von einer chaotischen und unaufgeräumten Wohnung im Bahnhofsviertel. Auf der Grundlage dieser Informationen schlug die Tochter die Erbschaft aus. Der daraufhin vom Gericht eingesetzte Nachlasspfleger ermittelte dann aber ein Bankkonto in der Erbschaft, das ein Guthaben im "oberen fünfstelligen Bereich" hatte. Die Tochter erklärte sodann die Anfechtung ihrer Erbausschlagung und stellte beim Nachlassgericht einen Erbscheinsantrag.

Voraussetzungen an die Anfechtung einer Erbausschlagung

Das Gericht wollte den beantragten Erbschein jedoch nicht ausstellen, da es die Anfechtung der Ausschlagung der Erbschaft als unwirksam ansah. Der Fall landete schließlich beim OLG Frankfurt und dort hatte die Tochter Erfolg. Die Erbin, so das OLG, konnte die Erbausschlagung wegen Irrtums anfechten, da der Irrtum über den Nachlass der Grund für die Ausschlagung gewesen sei. Die Tochter habe die naheliegenden Erkenntnismöglichkeiten über die Zusammensetzung des Nachlasses genutzt und diese - wenn auch falsch - bewertet. Ausgeschlossen sei eine Anfechtung dagegen dann, wenn der Erbe seine Entscheidung bewusst spekulativ, also auf einer ungesicherten Grundlage getroffen habe. Dann handele es sich allein um Vermutungen.

Der Irrtum über den Wert allein berechtigt nicht zur Anfechtung

Die Frankfurter Richter stellten klar, dass allein ein Irrtum über den Wert des Nachlasses noch kein tragender Anfechtungsgrund ist. Schließlich sei der Wert - anders als die wertbildenden Faktoren - keine Eigenschaft einer Sache. Der Irrtum der Tochter über das Vorhandensein der Konto-Guthaben betreffe aber die konkrete Zusammensetzung des Nachlasses und damit dessen verkehrswesentliche Eigenschaft. Man kann zwar argumentieren, dass die Tochter mit etwas Mühe vermutlich das Konto-Guthaben entdeckt hätte. Der Senat kam aber nach der persönlichen Anhörung der Erbin zu der Überzeugung, dass ihre Ausschlagung tatsächlich auf einer Fehlvorstellung, also nicht auf einer bloßen Vermutung beruhte.

Das Dilemma mit der Nachlasshaftung

Nicht jede versehentliche Ausschlagung einer Erbschaft lässt sich durch Anfechtung wieder aus der Welt schaffen. Erben, die eine Überschuldung des Nachlasses befürchten, müssen daher ganz genau abwägen, ob sie die Erbschaft annehmen oder ausschlagen wollen. Dabei ist es gar nicht so leicht, sich innerhalb der sechswöchigen Ausschlagungsfrist einen Überblick über den Nachlass zu verschaffen. Das gilt besonders dann, wenn Immobilien oder auch Unternehmen zu den Aktiva gehören. Wer über eine Ausschlagung nachdenkt, sollte sich in jedem Fall auch über die Möglichkeiten informieren, wie man trotz Annahme der Erbschaft die Haftung für Verbindlichkeiten auf den Nachlass beschränken kann. Hier gibt es verschiedene Wege.