Erbschaftsprozess vs. Erbscheinsverfahren
Welches Verfahren ist auszusetzen?
Sofern in einem Erbstreit beim Zivilgericht und zeitgleich in einem Erbscheinsverfahren beim Nachlassgericht über die Frage der Erbschaft entschieden werden muss, darf das Zivilgericht nicht das Verfahren bis zur Entscheidung über den Erbschein aussetzen. So entschied das Oberlandesgericht Rostock in einem aktuellen Beschluss.
In der erbrechtlichen Praxis kommt es gelegentlich zu der Situation, dass sich zwei unterschiedliche Gerichte zeitgleich mit der Frage beschäftigen müssen, wer eigentlich Erbe eines verstorbenen Erblassers geworden ist – nämlich das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren auf der einen Seite und das Zivilgericht bei einem Erbstreit auf der anderen Seite. Das Oberlandesgericht Rostock äußerte sich in einem aktuellen Beschluss zu der Frage, ob ein Erbschaftsprozess in einer solchen Situation auszusetzen ist, bis das Erbscheinsverfahren beendet ist.
Streit um Erbschaft zeitgleich beim Landgericht und beim Nachlassgericht
Die Erblasserin verstarb im Januar 2022 und hinterließ zwei Töchter und einen Sohn. Das Nachlassgericht eröffnete daraufhin zwei Testamente, ein handschriftliches aus dem Jahr 2012 und ein notarielles aus dem Jahr 2019. Durch das handschriftliche Testament aus dem Jahr 2012 hatte die Erblasserin zunächst ihren Sohn zu ihrem alleinigen Erben eingesetzt. In dem notariellen Testament aus 2019 hatte sie dann aber verfügt, dass sie die Erbeinsetzung des Sohnes widerrufe und dass sie stattdessen Tochter 1 zu 2/3 und Tochter 2 zu 1/3 als Erben einsetze.
Die Töchter, die sich auf die Gültigkeit des Testaments beriefen, beantragten einen gemeinschaftlichen Erbschein beim Nachlassgericht, welcher beide Töchter als Erben ausweisen sollte. Der Sohn der Erblasserin war aber der Ansicht, dass die Erblasserin im Jahr 2019 wohl wegen einer bereits fortgeschrittenen Demenz schon gar nicht mehr testierfähig war und beantragte ebenfalls einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweisen sollte.
Die Erblasserin hatte zudem zu ihren Lebzeiten ihrem Sohn ein Darlehen in Höhe von 41.800 Euro gewährt, welches dieser bis zu ihrem Tod nicht zurückgezahlt hatte. Eine der Töchter, die sich als Erbin sah, kündigte dieses Darlehen im Namen der Erbengemeinschaft und verklagte ihren Bruder beim Landgericht Damrau auf Rückzahlung der vollen Summe.
Landgericht entschied sich zur Aussetzung des Verfahrens
Das Landgericht entschied sich sodann dazu, den Prozess um die Darlehensrückzahlung so lange auszusetzen, bis der Streit vor dem Nachlassgericht darüber, wer Erbe geworden ist und einen Erbschein erhält, entschieden ist. Das Landgericht war der Ansicht, dass die im Erbscheinsverfahren zu klärende Frage, wer Erbe geworden ist, für den Streit um die Darlehensforderung vorgreiflich im Sinne des § 148 ZPO.
Die Klägerin legte legen diesen Aussetzungsbeschluss des Landgerichts Beschwerde eine. Da das Landgericht selbst dieser Beschwerde nicht abhalf, hatte sich im Anschluss das Oberlandesgericht Rostock mit der Frage zu beschäftigten.
Erbscheinsverfahren nicht vorgreiflich für Zivilprozess
Das Oberlandesgericht kam in seinem Beschluss vom 30.03.2023 (3 W 30/23) zu dem Ergebnis, dass die Aussetzung des Verfahrens unzulässig war. Es war daher nicht zulässig, das Verfahren beim Landgericht auszusetzen und das Ergebnis des Erbscheinsverfahrens abzuwarten und dieses Ergebnis dann auch der Entscheidung zugrunde zu legen.
Grundsätzlich bestimmt § 148 Abs. 1 ZPO, dass ein anhängiger Rechtsstreit vom Gericht ausgesetzt werden kann, wenn ein anderer anhängiger Rechtsstreit für diesen „vorgreiflich“ ist. Vorgreiflichkeit ist in der Regel dann zu bejahen, wenn das auszusetzende Verfahren mindestens zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, über welches in dem anderen Rechtsstreit entschieden wird.
Und obwohl es für den Zivilrechtsstreit um die Darlehensrückforderung im Kern auf die Frage ankam, wer Erbe der Erblasserin geworden war, worüber auch im parallelen Erbscheinsverfahren zu entscheiden war, kam das Oberlandesgericht zu dem Ergebnis, dass die Aussetzung des Zivilrechtsstreits nicht zulässig war.
Der Grund für diese Entscheidung des Gerichts ist in erster Linie auf die Rechtsfolgen zurückzuführen, welche durch einen erteilten Erbschein ausgelöst werden. Ein Erbschein enthalte nämlich lediglich eine formelle Erbenfeststellung, das heißt nach Erteilung eines Erbscheins wird zunächst vermutet, dass die Erbfolge dem Erbschein entsprechend feststeht. Materiellrechtlich bindend und rechtskräftig kann die Erbfolge allerdings nur durch ein ordentliches Zivilgericht außerhalb des Erbscheinsverfahrens festgestellt werden.
Aus diesem Grund dürfe nach Ansicht des Gerichts auch nicht ein Zivilgericht einen Erbschaftsprozess aussetzen und das Ergebnis des Erbscheinsverfahrens seiner Entscheidung zugrunde legen.
Rechtsprechung bislang nicht einheitlich
Das Urteil ist für die Praxis deshalb relevant, da die obergerichtliche Rechtsprechung bei der Rechtsfrage um die Aussetzung eines Zivilprozesses bei gleichzeitigem Erbscheinsverfahren bislang nicht einheitlich ist. Das OLG München vertrat bisher die Meinung der Vorinstanz, wonach ein Zivilprozess auszusetzen ist, wenn gleichzeitig ein Erbscheinsverfahren anhängig ist. Im Übrigen scheint die herrschende Rechtsprechung dahin zu tendieren, dass Erbscheinsverfahren für Zivilprozesse aufgrund der rein formellen Wirkung nicht vorgreiflich sind. Der Bundesgerichtshof scheint sich bisher zu der Frage noch nicht geäußert zu haben.
Für die erbrechtliche Praxis bedeutet dies, dass taktische Erwägungen, ob zunächst ein Erbscheinsverfahren oder ein Erbschaftsprozess anzustreben ist, auch vom zu entscheidenden Gericht anhängig gemacht werden müssen.