Virtuelle GmbH-Gesellschafterversammlung
Licht & Schatten des digitalen Formats
Der Gesetzgeber ermöglicht neuerdings digitale Gesellschafterversammlungen. Die neuen virtuellen Möglichkeiten bieten viele Vorteile. Gegen ihren breiten Einsatz sprechen jedoch auch diverse Risiken.
Die Digitalisierung im Wirtschaftsrecht schreitet auch im Mittelstand voran. Der EU-Gesetzgeber hat mit seiner vor drei Jahren in Kraft getretenen Digitalisierungsrichtlinie etwas ins Rollen gebracht. Die Corona-Pandemie hat virtuelle Entwicklungen nochmals beschleunigt. Neuerdings können auch alle als GmbH organisierten Mittelstandsunternehmen von einer weiteren Neuerung profitieren – der digitalen Gesellschafterversammlung. GmbHs lassen sich nicht nur online gründen. Der Gesetzgeber legalisiert jetzt auch Online-Gesellschaftertreffen.
DAX-Gesellschaften setzen auf das digitale Aktionärstreffen
Mittlerweile setzt die Mehrzahl der großen DAX-Unternehmen mehrheitlich auf die virtuelle Hauptverhandlung. Die AGs haben in der Corona-Zeit positive Erfahrungen mit dem digitalen Aktionärstreffen gemacht. Die klassischen Hauptversammlungen bringen eine nicht unerhebliche Kostenbelastung mit sich. Beim Aktionärstreffen im Internet lassen sich immerhin einige Millionen Euro sparen.
Große internationale Player wie zum Beispiel BMW bekunden, dass sie mit dem virtuellen Treffen eine höhere Reichweite bei den Kleinaktionären und internationalen Aktionären erreichen wollen. Viele börsengelistete Konzerne setzen auf das virtuelle Format, weil sie in der Digitalisierung einen unaufhaltsamen Trend erkennen, der zudem ökologisch nachhaltiger sei. Die deutsche Aktionärsgemeinde gewöhnt sich gerade daran, dass die Hauptversammlungen virtuell abgehalten werden.
Corona als digitaler Brandbeschleuniger
Wertvolle Erfahrungen mit virtuellen Gesellschaftertreffen auf der Grundlage der Covid-Notfallgesetzgebung im Aktienrecht haben auch im GmbH-Recht den Stein ins Rollen gebracht. Bei der GmbH gab es während Covid nur formelle Erweiterungen bei der Beschlussfassung. Eine digitale Gesellschafterversammlung ist im GmbH-Recht erst kürzlich mit dem Gesetz zur Ergänzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiREG) zum 1. August 2022 eingeführt worden. Die GmbH-Gesellschafterversammlungen können seit einem halben Jahr mittels Videokommunikation abgehalten werden. Ausreichend Zeit für eine erste Bewertung der Versammlungen im Internet.
Digitale Entwicklungen im Mittelstand
Beachtenswert ist, dass der Gesetzgeber behutsam im GmbH-Recht vorgeht. Das Format der Versammlung wird gerade nicht ins Ermessen der Geschäftsführung gestellt. Eine virtuelle Versammlung soll nur möglich sein, wenn sämtliche Gesellschafter sich einverstanden erklären.
Zu beachten ist jedoch, dass die neuen Regelungen dispositiv sind. Das Format einer virtuellen Gesellschafterversammlung lässt sich durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrags obligatorisch gestalten und auch ins Ermessen des Mehrheitseigners oder der Geschäftsführung stellen.
Beschlüsse im Internet fassen – eine gute Idee
Technikbegeisterte heben die Vorteile von virtuell stattfindenden Gesellschafterversammlungen hervor. Es wird auf den Zeit- und Kostenaufwand hingewiesen, der eine Anreise der Gesellschafter sowie eine Anmietung von Räumen für das physische Gesellschaftertreffen entbehrlich macht.
Bei größeren GmbH-Gesellschafterversammlungen lassen sich auch Kosten für Sicherheitspersonal und Verpflegung einsparen. Natürlich führen auch nicht angetretene Reisen der Gesellschafter zu einer besseren Ökobilanz.
Die genannten Argumente streiten regelrecht für eine „Beschlussfassung im Internet“. Allerdings gibt es durchaus auch dunkel gefärbte Argumente, die ins Feld geführt werden:
Beachtliche Kritik an großen AG-Hauptversammlungen
Zur Wahrheit gehört, dass die rein digital abgehaltenen Treffen von den Gesellschaftern großer Unternehmen durchaus auch kritisch bewertet werden. Es ist kein Geheimnis, dass Rede- und Fragerechte in Präsenzveranstaltungen viel besser wahrgenommen werden können als im reinen virtuellen Raum. Dies gilt auch, wenn bei virtuellen Hauptversammlungen eine Zwei-Wege-Kommunikation gewährleistet ist.
Die althergebrachte physische Versammlung ist immer durch Rede und Gegenrede, Wortgefechte und Debatten gekennzeichnet. Manchmal wird sie auch durch Zwischenrufe und Spontanäußerungen aufgewertet. Bei virtuellen Treffen wird es solche Debatten und Wortgefechte nicht mehr geben.
Schließlich lässt erfahrungsgemäß die Qualität der Übertragungen in einer virtuellen Versammlung noch zu wünschen übrig. Überdies schleichen sich auch immer technische Probleme in solche Formate ein.
Gefahren der virtuellen GmbH-Gesellschafterversammlung
Die digitale Beschlussfassung im Rahmen von GmbH-Gesellschafterversammlungen wirft neben den bereits genannten Nachteilen die Frage nach dem Daten- und Geheimnisschutz auf. Typischerweise wird der Zugang zu und die Teilnahme an Gesellschafterversammlungen in der mittelständischen Praxis sehr eng gehalten und kontrolliert. Hintergrund ist, dass ein Austausch unter den Gesellschaftern auch bei den Gesellschaftern verbeiben soll. Insbesondere Familiengesellschaften sind sehr darauf bedacht, dass Debatten und Entscheidungen aus den Versammlungen nicht ungefiltert nach außen dringen. Die typische Kontrolle der zur Teilnahme berechtigten Personen sowie die Prüfung von Bevollmächtigungen lässt sich in einer virtuellen Gesellschafterversammlung so gut wie gar nicht realisieren. Ein an einer Online-Videokonferenz teilnehmender Gesellschafter kann von einer Schar an Unternehmensfremden begleitet werden.
In einer solchen virtuellen Versammlung lässt sich die Geheimhaltung, die nicht nur in Familiengesellschaften gewünscht wird, nur sehr schlecht gewährleisten. Man muss sich auch klarmachen, dass Aufzeichnungen von Versammlungs-Videokonferenzen sich nicht effektiv vermeiden lassen. Auch wenn heimliche Aufzeichnungen zur Strafbarkeit nach § 201 StGB führen können, kommen sie in der Praxis immer wieder vor.
Eine enge Zugangskontrolle, die nur in physischen Gesellschafterversammlungen möglich ist, dient immer auch der Absicherung der Beschlussfassung. Es macht einen großen Unterschied, ob eine Gesellschafterversammlung nur mit einigen wenigen berechtigten Gesellschaftern ohne Einfluss von unbekannten und heimlich teilnehmenden Dritten stattfindet. Der Meinungsbildungsprozess eines per Video an der Versammlung teilnehmenden Gesellschafters sollte gerade nicht durch unsichtbare Dritte beeinflusst werden.
Schließlich führt auch eine ausschließlich verpflichtende Online-Versammlung im Internet, insbesondere bei Zwangsmaßnahmen gegen Gesellschafter (zum Beispiel Einziehungsbeschlüsse und Abberufungsbeschlüsse im Falle des Gesellschafterstreits) dazu, dass durch den Versammlungs-Administrator Rede-, Abstimmungsrechte und Einfluss des betroffenen Gesellschafters technisch abgeschnitten werden können. Der betroffene Gesellschafter kann in der Internet-Versammlung mundtot gemacht werden, wie es im physischen Versammlungsformat nicht denkbar ist.
Fazit: Hybride Formate der Gesellschafterversammlung sinnvoll
Unter Berücksichtigung der thematisierten Gefahren kommt man zu dem Schluss, dass jedenfalls die Möglichkeit von hybriden Formaten sinnvoll sein kann. Eine Mischung aus Präsenztreffen und Internet-Teilnahme berücksichtigt das Interesse aller Gesellschafter. Minderheitsgesellschafter, die im rein digitalen Format Rechtsverluste fürchten, können sich immer in Präsenz einbringen. Dagegen können rein virtuelle Versammlungen bei rein informatorischen Veranstaltungen sehr sinnvoll sein.
Es ist zu erwägen, die Wahl einer rein virtuellen Versammlung im Einzelfall von der Zustimmung aller Gesellschafter – wie es auch das Gesetz vorschlägt – abhängig zu machen. Dies sollte zumindest für bestimmte risikobehaftete Beschlussgegenstände gelten. Eine Satzungsänderung, welche die Wahl des Versammlungsformats in die Hand der Geschäftsleitung oder der Mehrheitsgesellschafter legt, kann schnell zu einer Verletzung der Interessen bestimmter Gesellschaftergruppen führen.