Offenlegungspflichten bei M&A-Transaktionen
Due Diligence & Datenräume
In einem Urteil aus dem Jahr 2023 setzt der BGH konkrete Maßstäbe für Offenlegungspflichten bei Immobilientransaktionen. Die Grundsätze sind auch auf M&A-Deals übertragbar und klären wichtige Fragen zur Risikoverteilung und Nutzung von Datenräumen.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15. September 2023 (V ZR 77/22) hat sich mit den Anforderungen an die Offenlegungspflichten bei einer Immobilientransaktion auseinandergesetzt und dort bislang offene Fragen höchstgerichtlich geklärt. Die dort entwickelten Grundsätze sind auch auf M&A-Transaktionen übertragbar. Gerade weil Urteile zu Unternehmenskäufen sehr selten sind, bietet diese Entscheidung wertvolle Orientierung für die Praxis. Sie bestimmt, welche Pflichten den Verkäufer und den Käufer im Rahmen der Due Diligence und bei der Nutzung von Datenräumen treffen, konkretisiert Offenlegungspflichten und klärt Fragen zur Risikoverteilung zwischen den Transaktionsparteien.
Sorgfaltspflichten bei der Due Diligence
Eine Due Diligence ist seit langem auch in Deutschland ein zentraler Bestandteil fast jeder größeren Transaktion. Käufer müssen dabei die im Datenraum bereitgestellten Informationen sorgfältig prüfen, während Verkäufer sicherstellen müssen, dass alle relevanten Informationen vollständig und korrekt offengelegt werden. Der BGH stellt in seinem Urteil klar, dass die Offenlegungspflicht des Verkäufers nicht automatisch durch jede Bereitstellung in einem Datenraum erfüllt wird. Entscheidend ist vielmehr, ob der Verkäufer dabei berechtigterweise erwarten kann, dass der Käufer die relevanten Informationen erkennt und berücksichtigt.
Der Käufer, der eine Due Diligence durchführt, trägt dagegen grundsätzlich die Verantwortung, sämtliche bereitgestellte Unterlagen systematisch zu prüfen und die sich daraus ergebenden Umstände und Risiken zu analysieren.
Offenlegungspflichten trotz Bereitstellung im Datenraum
Das Urteil stellt heraus, dass die bloße Bereitstellung eines Datenraums nicht für sich allein genommen ausreicht, um sämtliche Offenlegungspflichten des Verkäufers zu erfüllen. Verkäufer müssen nach Ansicht des BGH vielmehr sicherstellen, dass die für die Kaufentscheidung relevanten Informationen für den Käufer auch erkennbar sind. Dies gilt insbesondere, wenn die Informationen in umfangreichen Dokumenten „versteckt“ sind, ohne spezifischen Hinweis hochgeladen werden oder erst kurz vor Vertragsschluss ohne ausdrücklichen Hinweis in den Datenraum aufgenommen werden.
Der BGH fordert, dass der Verkäufer bei erkennbar besonders relevanten Informationen einen gesonderten Hinweis geben muss, selbst wenn sich die Informationen aus dem Datenraum erschließen lassen. Dies schützt Käufer vor im Datenraum „versteckten“ Informationen, die zwar vorhanden, aber ohne gesonderten Hinweis offensichtlich schwer erkennbar sind.
Kurzfristige Uploads: Ein Problem für die Praxis
Ein zentraler Punkt des Urteils ist die Behandlung von Dokumenten, die in den Datenraum erst kurz vor Vertragsschluss eingestellt werden. Im entschiedenen Fall wurden relevante Informationen erst am Freitag vor Vertragsunterzeichnung am Montagmorgen in den Datenraum hochgeladen. Der BGH stellte fest, dass der Verkäufer unter diesen Umständen nicht ohne weiteres davon ausgehen konnte, dass der Käufer diese Informationen noch rechtzeitig zur Kenntnis nimmt und berücksichtigt. Verkäufer sollten daher darauf achten, alle relevanten Dokumente frühzeitig bereitzustellen und bei spätem Einstellen einen gesonderten Hinweis an den Käufer zu geben. Der Käufer wiederum muss bei Zeitdruck aktiv auf den Verkäufer zugehen, um Fristverlängerungen oder eine Verschiebung des Vertragstermins zu verlangen.
Risikoverteilung nach dem Urteil: Wer trägt die Verantwortung?
Das Urteil verschiebt die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien. Verkäufer können sich nicht darauf verlassen, dass alle im Datenraum zur Verfügung gestellten Informationen haftungsbefreiend wirken. Unter bestimmten Umständen treffen ihn nach Ansicht des BGH trotzdem noch besondere Hinweispflichten. Andererseits liegt es aber in der Verantwortung des Käufers, die rechtzeitig bereitgestellten Informationen sorgfältig zu prüfen. Der BGH betont, dass Käufer, die eine Due Diligence durchführen, im Regelfall in der Lage sein sollten, alle relevanten Informationen ohne gesonderten Hinweis zu erkennen.
Ob eine gesonderte Hinweispflicht besteht, beurteilt sich nach dem Einzelfall, wie der BGH ausdrücklich hervorhebt. Dabei ergeben sich für Verkäufer umso höhere Risiken, wenn die Informationen nicht klar und strukturiert oder erst sehr kurzfristig offengelegt werden.
Kritik am Urteil: Subjektive „Erwartbarkeit“ schafft Unsicherheit
Das Urteil wurde unterschiedlich aufgenommen. Kritiker bemängeln, dass der BGH die Erfüllung der Offenlegungspflicht von einer schwer einschätzbaren subjektiven „Erwartbarkeit“ abhängig macht, dass der Käufer die Informationen schon zur Kenntnis nehmen wird. Dies führt zu Rechtsunsicherheit, da Verkäufer im Einzelfall schwer einschätzen können, ob ihre Offenlegungspflichten erfüllt sind oder sie gesonderte Hinweise erteilen müssen. Zudem wird die eigene Verantwortlichkeit des Käufers, die Due Diligence sorgfältig durchzuführen, teilweise abgeschwächt und Risiken auf den Verkäufer verlagert.
Trotz dieser Unsicherheiten ist das Urteil zu begrüßen, da es für die Praxis wichtige Klarstellungen enthält, auf die sich die Parteien einstellen können. Solange der BGH die Pflichten des Käufers nicht überstrapaziert, dürfte es auch unproblematisch sein, dem Käufer unter besonderen Umständen besondere Offenlegungspflichten aufzuerlegen. Im entschiedenen Fall war klar, dass bei Erkennen des Umstandes (Übernahme eines Risikos von EUR 50 Mio. bei einem Transaktionswert von EUR 1,5 Mio.) jeder verständige Käufer von der Transaktion Abstand genommen hätte. Damit befindet man sich an der Grenze zum strafrechtlich relevanten Betrug und es besteht keine Veranlassung, einen solchen Käufer zivilrechtlich mit einem solchen Verhalten „durchkommen zu lassen“.
Auswirkungen auf die M&A-Praxis: Lehren aus dem Urteil
Für die M&A-Praxis ergeben sich aus dem Urteil mehrere wichtige Lehren:
- Frühzeitige und strukturierte Offenlegung: Verkäufer sollten alle relevanten Informationen so früh wie möglich und in klarer Struktur in den Datenraum einstellen.
- Gesonderte Hinweise: Bei besonders wichtigen Informationen sollten Verkäufer explizit darauf hinweisen, um Missverständnisse zu vermeiden und sich zu entlasten.
- Dokumentation der Due Diligence: Käufer und Verkäufer sollten die Durchführung der Due Diligence und die Kenntnisnahme der Dokumente im Kaufvertrag dokumentieren, was in der Praxis auch Standard ist.
- Fristenmanagement: Käufer sollten bei Zeitdruck aktiv Fristverlängerungen oder eine Verschiebung des Vertragstermins verlangen, insbesondere wenn noch neu hinzugekommene Informationen auszuwerten sind …
Das Urteil zeigt, dass die Nutzung von Datenräumen allein keine Garantie für die Erfüllung der Offenlegungspflichten ist. Verkäufer und Käufer müssen ihre Prozesse anpassen, um den Anforderungen des BGH gerecht zu werden. So wird das Urteil langfristig zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit bei M&A-Transaktionen beitragen und ist zu begrüßen.