LAG: Kein Kündigungsschutz, wenn krasser Vertrauensbruch
Kann das Weiterleiten privater E-Mails des Chefs Kündigungsgrund sein?
Stellt das Weiterleiten privater E-Mails des Chefs einen Kündigungsgrund dar?
Ein Beitrag von Anna-Maria Blömer
Viele Arbeitnehmer müssen sich täglich um den geschäftlichen E-Mail-Verkehr kümmern. Einige auch stellvertretend für den Vorgesetzten. Dabei kann es passieren, dass die ein oder andere Mail dabei ist, die gar nichts mit der Arbeit zu tun hat und nicht für die Augen der Mitarbeiter bestimmt war. Aus Neugierde wird eine solche Mail dann doch mal kurz überflogen, aber ist das in Ordnung? Ob das Kopieren und Weitergeben einer privaten Mail des Arbeitgebers einen fristlosen Kündigungsgrund rechtfertigen, hat das Landesarbeitsgericht Köln entschieden (LAG Köln, Urteil vom 02.11.2021 - 4 Sa 290/21).
Kündigungsgrund oder Beweismittelsicherung?
Eine Verwaltungsangestellte, die bereits seit 23 Jahren für eine evangelische Kirchengemeinde tätig war, durfte jahrelang auf den dienstlichen Computer des Pastors zugreifen. Diesen Zugang benötigte sie für die Buchhaltung. Eines Tages befand sich im Postfach eine E-Mail bezüglich eines gegen den Pastor gerichteten Ermittlungsverfahrens aufgrund eines Verdachts sexueller Übergriffe auf eine Frau, welche im Kirchenasyl der Gemeinde lebt.
Daraufhin fand die Angestellte den Anhang einer anderen privaten E-Mail des Vorgesetzten, der den Chatverlauf zwischen dem Pastor und der im Asyl lebenden Frau zeigte. Diesen Chatverlauf sicherte die Arbeitnehmerin auf einem USB-Stick und gab ihn in der darauffolgenden Woche anonym an eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Gemeinde weiter. Als das Ganze bekannt wurde hat die Kirchengemeinde die Arbeitnehmerin kurzerhand fristlos gekündigt.
AG Aachen gibt Kündigungsschutzklage statt
Sie selbst versuchte sich damit zu rechtfertigen, dass sie lediglich Beweismittel sichern wollte, um die betroffene Frau zu schützen. Ihrer Kündigungsschutzklage wurde durch das AG Aachen stattgegeben. In der Begründung hätten die Richter das Verhalten der Arbeitnehmerin zwar als wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung definiert, allerdings sei eine Kündigung in Anbetracht der Länge des bisherigen, unbelasteten Arbeitsverhältnisses für unverhältnismäßig befunden worden. Denn auch für die Annahme einer Wiederholungsgefahr habe man keine Anhaltspunkte gefunden. Die Kirchengemeinde ging gegen das Urteil in Berufung.
Kein Kündigungsschutz, wenn erheblicher Vertrauensbruch
Die Berufung der Kirchengemeinde war erfolgreich. Die Kölner Richter hatten entschieden, dass das für die Aufgaben der ehemaligen Arbeitnehmerin erforderliche Vertrauensverhältnis unwiderruflich zerstört worden sei. Dadurch, dass sie ohne Befugnis die fremden Daten zur Kenntnis genommen und weitergeleitet hat, habe sie nicht nur gegen Persönlichkeitsrechte, sondern darüber hinaus auch schwerwiegend gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verstoßen.
Eine Rechtfertigung durch die von der Angestellten angegeben Beweggründe, die betroffene im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern zu wollen, läge nicht vor. Denn laut den Richtern habe sie die von ihr vorgetragenen Ziele durch ihr Handeln nicht verfolgen können.
Die Pflichtverletzung sei außerdem dermaßen schwer gewesen, dass das Lösungsinteresse der Gemeinde dem Beschäftigungsinteresse der ehemaligen Verwaltungsangestellten klar überwiege. Schon das erste Hinnehmen der Pflichtverletzung sei der Kirchengemeinde nach objektiven Maßstäben nicht zuzumuten und der Kündigungsschutz der Arbeitnehmerin mithin ausgeschlossen. Eine Revision wurde seitens des LAG Köln abgelehnt.
Wie sieht es andersherum aus? – Private Mails des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz
Darf der Chef meine eingegangenen oder gesendeten E-Mails kontrollieren? Heutzutage sind die E-Mail- oder Internetnutzung für private Zwecke manchmal schon im Arbeitsvertrag geregelt worden. Darunter kann dann zwischen einem vollständigen Nutzungsverbot bis hin zu einer uneingeschränkten Erlaubnis bezüglich der privaten Nutzung am Arbeitsplatz alles vereinbart werden. Auch der Tarifvertrag kann unter Umständen Auskunft über entsprechende Vereinbarungen geben.
Wenn die Arbeitnehmer hin und wieder mal ihre privaten E-Mails checken und keiner was dagegen sagt, könnte man gegebenenfalls auch schon von einer Duldung der privaten Nutzung sprechen. Wird das über einen langen Zeitraum so gehandhabt, liegt sogar eine sogenannte betriebliche Übung vor. Selbst, wenn das private Surfen über einen längeren Zeitraum bewusst toleriert wurde, darf dies aber auch nicht ausufern und mehr Zeit in Anspruch nehmen als das Erfüllen der betrieblichen Aufgaben! Wer beispielsweise von 30 Arbeitstagen 5 davon zu privaten Zwecken im Internet verbracht hat, der sollte von der Kündigung nicht überrascht sein (LAG Berlin, Urteil vom 14.01.2016 – 5 Sa 657/15).
Wurde das private Surfen im Internet ausdrücklich erlaubt, dann ist eine Überprüfung durch den Arbeitgeber nicht rechtens im Sinne des Datenschutzes und des Fernemeldegeheimnisses. Anders sieht die ganze Sache natürlich aus, wenn die Nutzung explizit verboten wurde. Eine dauerhafte und systematische Überwachung würde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen, ABER eine anlassbezogene Kontrolle ist nicht generell verboten.
Private E-Mails für den Chef sind tabu!
Am besten sollte man private Mails, die offensichtlich und für jeden erkennbar an den Chef gerichtet sind, ohne dessen Erlaubnis nicht direkt lesen. Daraus lässt sich dann auch schlussfolgern, dass man solche E-Mails, deren Inhalte und Anhänge auch auf gar keinen Fall unbefugt an Dritte weitergeben sollte. Denn ein Kündigungsschutz ist in Folge des Urteils durch das LAG Köln ausgeschlossen, wenn das Handeln des Betroffenen einen Vertrauensbruch in derartigem Ausmaß darstellt, dass ein Weiterbestehen des Arbeitsverhältnisses unzumutbar wäre.