Kindesunterhalt bei Spitzenverdienern
Was heißt eigentlich "unbegrenzt leistungsfähig"?
Was heißt eigentlich "unbegrenzt leistungsfähig"?
Ein Beitrag von Meltem Kolper-Deveci, Fachanwältin für Familienrecht in München
"Unbegrenzt leistungsfähig" zu sein – das ist zwar schön, reicht dem BGH aber als Angabe über das Einkommen zwecks Kindesunterhaltsberechnung nicht aus.
Auch Kinder von Spitzenverdienern haben einen Anspruch darauf, das genaue Einkommen der Eltern zu erfahren, um ihren Unterhalt berechnen zu können. Die Erklärung „unbegrenzt leistungsfähig“ zu sein, genügt dem Auskunftsanspruch des Kindes gegen einen unterhaltspflichtigen Elternteil nicht. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einer kürzlich veröffentlichen Entscheidung (BGH, Beschluss vom 16.9.2020, Az. XII ZB 499/19):
Ein neunjähriges Mädchen - vertreten durch ihre Mutter - wollte in Erfahrung bringen, über welches Einkommen ihr Vater verfügt. Die Eltern waren seit mehreren Jahren geschieden. Die Schülerin lebt bei ihrer Mutter, der Vater ist Geschäftsführer eines Verlages sowie weiterer Gesellschaften. Der Vater zahlte nach der Scheidung der Eltern Unterhalt für das Kind. Die Eltern einigten sich darauf, im Jahr 2019 den Unterhalt entsprechend der Düsseldorfer Tabelle neu berechnen zu lassen. Ohne eine konkrete Berechnung vorzunehmen, stimmte der Vater zu, monatlich den Höchstbetrag gemäß Düsseldorfer Tabelle als Kindesunterhalt zu bezahlen und erklärte "unbegrenzt leistungsfähig" zu sein.
Ob auch denjenigen Elternteil, der freiwillig den vollen Kindesunterhalt nach dem Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle zahlt, eine Pflicht zur Auskunftserteilung über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse trifft, hatte aktuell der BGH zu entschieden.
Bereits die Vorinstanz vertrat die Auffassung, dass eine Offenlegung über die Einkommensverhältnisse erfolgen müsse. Eine solche könne nur ausnahmsweise ausbleiben, wenn die Auskunft keinerlei Bedeutung für den Unterhaltsanspruch habe (OLG München Entsch. v. 23.04.2019, Az. 533 F 11011/18).
Auch Spitzenverdiener müssen Einkommen offenlegen
Die Düsseldorfer Tabelle, die die Gerichte zur Bestimmung des Kindesunterhalts heranziehen, sehe insoweit ab einem bereinigten monatlichen Nettoeinkommen von mehr als 5.500 Euro vor, dass die Höhe des Unterhalts im Einzelfall bestimmt werden müsse. Dazu werde die Tabelle zwar nicht einfach fortgeschrieben, es könne aber trotzdem nicht irrelevant sein, ob das monatliche Nettoeinkommen bspw. 6.000 Euro oder 30.000 Euro betrage, so das Gericht.
Dieser Argumentation schloss sich der BGH nun an.
Kinder würden automatisch am Lebensstandard der Eltern teilnehmen, das gelte auch beim Kindesunterhalt. Es müsse daher sichergestellt werden, dass dies auch bei höheren Einkommen der Eltern entsprechend erfolge.
Es gibt aber Grenzen: Unterhalt dient nicht der Teilhabe am Luxus oder gar der Vermögensbildung. Laut OLG müssen die Gerichte schon für diese Abwägung die genaue Höhe des Einkommens kennen. Der BGH sieht noch einen zusätzlichen Grund. Denn an bestimmten Kosten - zum Beispiel für eine Betreuung im Hort (sog. Mehrbedarf) - müssen sich grundsätzlich beide Eltern beteiligen. Ohne Auskunft über die Einkommensverhältnisse würde sich aber nicht feststellen lassen, zu welchen Teilen.
Der BGH verdeutlicht einmal mehr, dass Kinder das Recht haben, die genauen Einkommensverhältnisse der Eltern zu erfahren. Eine Teilhabe am Luxus der Eltern wird ihnen dadurch gleichwohl nicht zuteil. Es bleibt aber bei dem Grundsatz, dass die Lebensstellung eines Kindes geprägt ist durch seinen speziellen sozialen Rang, durch sein „Kindsein“. Der Kindesunterhalt soll dem Kind zwar kein Leben im Luxus ermöglichen, sondern vielmehr mit zunehmendem Alter eine eigene Lebensstellung schaffen, die das Kind persönlich und wirtschaftlich von den Eltern unabhängig werden lässt.
Unterhaltsansprüche bei hohem Einkommen könnten nun steigen
Das Urteil könnte weitreichende Folgen für unterhaltspflichtige Elternteile mit hohem Einkommen haben. Unterhaltsberechtigte haben nunmehr gute Chancen, die Höhe des zu zahlenden Unterhaltsbetrages ganz oder teilweise neu berechnen zu lassen und in Zukunft mehr Geld von gut verdienenden Elternteilen zu erhalten.
In jedem Fall empfiehlt es sich, den Bedarf des Kindes - insbesondere bei hohem Einkommen und einem gehobenen Lebensstandard stets so konkret wie möglich darzulegen. Dies gilt sowohl für den „normalen“ Kindesunterhalt, vor allem aber auch für solche Positionen im Rahmen von Sonder- und Mehrbedarf, die von Tabellenunterhalt nicht umfasst sind.
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