Lauterbach plant Gesetz gegen MVZ-Ketten

„Diese Heuschrecken“ – irritierende Rhetorik zu Investoren im Gesundheitswesen

Was steckt hinter dem aktuellen Gesetzesvorhaben des Gesundheitsministers, mit dem Investitionen in Arzt- und Zahnarztpraxen reguliert werden sollen? Eine Beleuchtung der Auseinandersetzung vom Medizinrechtler.

Veröffentlicht am: 04.01.2023
Qualifikation: Fachanwalt für Medizinrecht in Hamburg
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Aussagen Lauterbachs zu Gesetzesentwurf

Der Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sorgte mit der Ankündigung eines Gesetz-Entwurfs gegen Finanzinvestoren in der ambulanten Medizin für Aufsehen. Der Bild-am-Sonntag sagte er im Interview vom 24. Dezember 2022: „Es gibt den fatalen Trend, dass Investoren medizinische Versorgungszentren aufkaufen, um sie anschließend mit maximalem Gewinn zu betreiben“.

Diese Heuschrecken“ wolle er künftig verbieten und schon im ersten Quartal 2023 dazu einen Gesetzentwurf vorlegen. „Absolute Profitgier“, „unnütze Behandlungen“ und „absurde Profitziele“ - die Rhetorik des Ministers ist überraschend scharf dafür, dass die Entwicklung und die Debatte bereits Jahre alt sind. Was steckt hinter der Ankündigung und warum ist die Einschätzung so einseitig?

Hintergrund: MVZ-Ketten kaufen (Zahn-)Arztpraxen

Tatsächlich kaufen MVZ-Ketten, also Medizinische Versorgungszentren (MVZ) mit mehreren Standorten teilweise massenhaft Arzt- und Zahnarztpraxen auf. Richtig ist auch, dass hinter den MVZ-Ketten teilweise internationale Private-Equity-Gesellschaften stehen.

Die Investoren erwerben in Deutschland zumeist ein kleines Krankenhaus und damit die Gründungsberechtigung für den Betrieb von MVZ. Mit diesem „Vehikel“ erwerben sie bislang vor allem zahnärztliche- und augenärztliche Praxen, aber auch Hausarztpraxen und andere Fachpraxen, und formen so größere Unternehmen.

Sorge vor der „Kapitalisierung des Gesundheitswesens“

Die Entwicklung wird als Kommerzialisierung des Gesundheitswesens zulasten der Patientinnen und Patienten teilweise lautstark verschrien.

Tatsächlich sind bereits Fälle bekannt geworden, in denen Leistungen unzulässig abgerechnet und sogar medizinisch nicht-indizierte Leistungen erbracht wurden. Vor dem Hintergrund muss die Entwicklung kritisch verfolgt werden. Dabei ist fraglich, ob es sich um Ausreißer handelt oder um ein spezifisches MVZ-Problem.

Wer frei von Gewinnstreben ist, werfe den ersten Stein

Dass es schwarze Schafe unter den MVZ gibt, ist unbestritten. Aber die gibt es freilich auch unter den Einzelpraxen. Valide Untersuchungen, ob MVZ-Ketten besonders anfällig sind, fehlen unterdessen.

Es werden bei der oft einseitig geführten Diskussion zumeist auch alle MVZ-Betriebe als „Investoren“ pauschal über einen Kamm geschert. Während manche tatsächlich bloß kurzfristig Profite maximieren wollen, sorgen andere für moderne Praxisausstattungen und flexible Arbeitszeitmöglichkeiten für Mitarbeitende. Wer langfristig Werte aufbauen und erhalten will, richtet sich nach dem Patientenwohl.

Polemik als Antwort auf den demographischen Wandel?

Unbestritten ist die Tatsache, dass die Gründung von (zahn-)ärztlichen Praxen immer teurer und der administrative Aufwand des Praxisbetriebs immer komplexer wird. Praxismanagement ist inzwischen ein Studiengang. Gleichzeitig steigt der Wunsch im Kollegium nach flexiblen (Teil-)Arbeitszeiten und immer mehr möchten sich auf die eigentliche Arbeit statt auf den „Papierkram“ konzentrieren.

Eine Arbeitsteilung in größeren Einheiten bietet sich da an. Vor dem Hintergrund wären Lösungen und konkrete Maßnahmen zu dem verbreiteten Ärztemangel wünschenswert. Mit einseitigen Verboten wird die Politik wirkliche Probleme nicht lösen können.

Sind MVZ Ursache oder Lösung von Problemen der Medizin?

Bezeichnend ist, dass Lauterbach die Institution der MVZ selbst nicht in Frage stellt. (Schließlich hat er sie unter Ex-Ministerin Ulla Schmidt im Jahr 2003 maßgeblich mit erschaffen). Zwar sehen wir auch bedenkliche Entwicklungen der MVZ-Ketten. Wir sehen aber auch, dass das Modell einer Arztpraxis überkommen ist, die von einer einzigen Person in Vollzeit ohne Praxisrenovierung bis zur Pensionierung betrieben wird.

Wofür MVZ-Gesellschaften dagegen auch sorgen (können) sind flexible Arbeitszeitmodelle, Investitionen in Praxisausstattungen, eine interdisziplinäre ärztliche Berufstätigkeit und eine bessere Verzahnung zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor.

Sinn und Zweck von Lauterbachs MVZ-Bashing

Wir raten nach alldem davon ab, MVZ mit mehreren Standorten pauschal zu verurteilen. Wenn die Politik etwas verbieten will, sollte sie auch Lösungen für die aktuellen Probleme anbieten, z.B. Praxissterben, Investitionsstaus usw.

Auffällig ist, dass die Debatte um MVZ-Ketten bereits seit Jahren (mitunter polemisch) geführt wird. Warum thematisiert der Bundesminister Lauterbach das ausgerechnet jetzt so lautstark, angesichts von Lieferausfällen von Kinderarzneimitteln oder der Digitalisierungsnot im Gesundheitswesen? In sozialen Netzwerken wird bereits geunkt, dass Lauterbach nach der Corona-Pandemie ein griffiges Thema suche.

Fehler und Schwächen im Gesundheitswesen ausfindig zu machen und zu beheben, ist sicherlich Aufgabe des Gesundheitsministeriums. Dazu kann auch gehören, den Verkauf von Arztpraxen zu reglementieren und die Auswirkungen von Medizinischen Versorgungszentren zu überwachen. Polemik ohne statistische Fundierung dürfte indes weder im Sinne des Gesundheitsministers, noch im Sinne der ÄrztInnen oder gar PatientInnen liegen.