Fehlerhafte Anzeige führt zur Unwirksamkeit einer Massenentlassung?

BAG ruft EuGH an

BAG muss sich fragen, ob eine nicht beanstandete, aber objektiv fehlerhafte Anzeige der Massenentlassung bei der Arbeitsagentur ausreicht oder ob aus der Fehlerhaftigkeit die Unwirksamkeit der Kündigungen folgt.

Veröffentlicht am: 14.06.2024
Von: Uresa Rakaj
Qualifikation: Wissenschaftliche Mitarbeiterin
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Kündigt ein Unternehmen mehrere Arbeitnehmer innerhalb einer kurzen Zeit, liegt häufig eine sogenannte Massenentlassung vor. Eine solche Entlassungswelle bedarf unter anderem gemäß § 17 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) der Anzeige bei der Agentur für Arbeit. Dabei sorgt diese Anzeige nicht selten für Schwierigkeiten. Das Bundesarbeitsgericht musste sich erst kürzlich einer Uneinigkeit bezüglich genau dieser Anzeigepflicht stellen (BAG, Beschluss vom 23.05.2024 – 6 AZR 152/22 (A)).

Kündigung eines Arbeitnehmers als Ausgangslage

Ursprünglich ging es in diesem Fall um eine einfache Kündigungsschutzklage. Ein gekündigter Arbeitnehmer legte eine Kündigungsschutzklage ein, nachdem er gleichzeitig mit weiteren Arbeitnehmern gekündigt wurde. Der klagende Arbeitnehmer berief sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund einer fehlerhaften Meldung der Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit. Tatsächlich war die Anzeige objektiv fehlerhaft, allerdings beanstandete die Agentur nach ihrer Überprüfung die Anzeige des Arbeitgebers nicht. Stattdessen ließ sie die gegebenen Informationen ausreichen und stimmte der Massenentlassung zu.

Aktuelle BAG-Rechtsprechung

Das BAG hat bereits in vergangenen Entscheidungen immer wieder deutlich gemacht, dass die Massenentlassung nur wirksam ist, wenn auch eine vollständige Anzeige bei der Agentur für Arbeit erfolgt ist. Die Anzeige muss dabei folgende Informationen beinhalten:

  • Name
  • Art und Sitz des Arbeitgebers
  • Gründe für die geplanten Entlassungen
  • Daten zu den betroffenen Arbeitnehmern
  • Kriterien für die Auswahl

BAG hat nun Zweifel an seiner bisherigen Rechtsprechung

Die nationalen Regelungen über die Massenentlassung und damit auch die Anzeigepflicht bei der Agentur für Arbeit finden ihre Wurzel in der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (Massenentlassungsrichtlinie).

Im vorgelegten Fall zweifelte das BAG zwar nicht an der tatsächlichen und objektiven Fehlerhaftigkeit der Anzeige. Schwierigkeiten ergaben sich allerdings darin, dass die Agentur für Arbeit die fehlerhafte Anzeige für hinreichend erachtet hat. Es stellte sich damit die Frage, ob der Zweck der Massenentlassungsrichtlinie erfüllt ist, wenn die Anzeige zwar objektiv fehlerhaft war, die nationale Arbeitsagentur sie aber so hinnimmt.

EuGH soll Abhilfe schaffen

Da in diesem Fall die Auslegung von EU-Vorschriften Fragen aufwirft, legte das BAG diese Frage dem EuGH vor. Dieser soll nun entscheiden, ob eine fehlerhafte Anzeige ausreicht. Sollte die Frage verneint werden, hat der EuGH weiterhin zu entscheiden, ob eine nachträgliche Korrektur der Anzeige bei der Arbeitsagentur ausreicht.

Schwierigkeiten bei Massenentlassungen

Genau wie Einzelfallkündigungen bringen auch Massenentlassungen für den Arbeitgeber einige Tücken mit sich. Dabei sollte vor allem die Anzeigepflicht aus § 17 KSchG nicht unterschätzt werden. Von der Zustimmung der Agentur für Arbeit hängt die Wirksamkeit der Kündigungen ab. Darüber hinaus sind jedoch auch die klassischen Kündigungsvoraussetzungen zu beachten. Bei der Massenentlassung wird in aller Regel insbesondere die Frage nach einer wirksamen Sozialauswahl eine große Rolle spielen.