Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte entscheidet über Leihmutterschaft
Italienische Behörden nehmen "Wunscheltern" das Kind weg
Italienische Behörden nehmen "Wunscheltern" das Kind weg.
Ein Beitrag von Dr. Elisabeth Unger
In Italien sind Leihmutterschaften verboten. Um ihren Kinderwunsch zu erfüllen, hatte ein italienisches Paar eine russische Leihmutterschaftsagentur beauftragt. Das Kind sollte mit Spendenmaterial des Mannes und einer anonym gespendeten Eizelle gezeugt werden. Das Kind wurde von einer Leihmutter geboren. Es stellte sich später heraus, dass das Kind tatsächlich nicht vom Mann abstammte - was wohl auf einem Fehler beruhte - .
Die Wunschmutter lebte sodann zunächst zwei Monate in Russland mit dem Kind; die Wunscheltern weitere sechs Monate gemeinsam mit dem Kind in Italien. Dann griffen die italienischen Behörden hart durch. Das Kind wurde von den italienischen Behörden den Eltern nicht nur weggenommen, sondern auch noch zur Adoption freigegeben.
EGMR hält Entzug des Kindes durch italienische Behörden zunächst für unverhältnismäßig
Zunächst entschied die 2. Sektion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) , dass die Maßnahmen der italienischen Behörde das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 Var. 2 EMRK verletzten. Der Entzug eines Kindes sei eine Maßnahme, die als allerletztes Mittel nur gestattet sei, wenn sich das Kind in unmittelbar drohender Gefahr befinde. Die Wunscheltern hatten sich liebevoll um das Kind gekümmert – auch nachdem sie erfuhren, dass das Kind nicht von ihnen abstamme. Das Kindeswohl habe oberste Priorität, und hinter ihm müssten ordre public-Erwägungen zurückstehen. Deshalb sei der Entzug des Kindes unverhältnismäßig gewesen.
Die italienische Regierung legte Beschwerde ein und das Urteil der 2. Sektion des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde an die Große Kammer des EGMR verwiesen.
EGMR zum Zweiten: Entzug des Kindes durch italienische Behöreden rechtmäßig
Jetzt plötzlich hält der EGMR insbesondere die Wegnahme des Kindes durch die italienischen Behörden für rechtmäßig. Der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens - so die Richter in einer Entscheidung vom 24. Januar 2017 - sei nicht eröffnet. Denn das Kind stamme genetisch nicht von seinen Wunscheltern ab. Außerdem habe es noch nicht lange genug bei den Wunscheltern gelebt, um eine de facto-Familie zu begründen.
Damit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Kern dem Leihmutterschaftsverbot in Italien gegenüber den Belangen des Kindes und der Wunscheltern den Vorrang eingeräumt. Diese Entscheidung bedeutet damit einen schweren Rückschlag für das Kindeswohl. Denn dieses Kind war nur auf der Welt, weil Eltern sich dieses Kind sehnlichst gewünscht haben und bereit waren Verantwortung zu übernehmen. Jetzt lebt das Kind in einer Pflegefamilie.
Es droht ein Wettlauf zwischen Behörden und Eltern
Dass die Wegnahme des Kindes aus seinem Umfeld nach 8 Monaten nicht dem Kindeswohl entspricht, liegt auf der Hand. Auch für Eltern, die ihren Kinderwunsch über Leihmütter realisieren möchten, werden mit dieser Entscheidung möglicherweise weitere Steine in den Weg gelegt. So könnte in Konsequenz auf diese Entscheidung ein Wettlauf entstehen. Je schneller Behörden eine Leihmutterschaft aufdecken, umso eher erreicht die Behörde den Entzug des Kindes. Und umgekehrt: Je länger die Wunscheltern die Tatsache der Leihmutterschaft geheimhalten können, umso schwieriger wird es für die Behörde, ihnen das Kind wegzunehmen. Das kann nicht richtig sein. Welche Auswirkungen diese Entscheidung des europäischen Gerichtshofs auf die deutsche Rechtsprechung haben wird, bleibt abzuwarten.
Nicht nur in Italien sind Leihmutterschaften verboten und gesellschaftlich umstritten. Auch in Deutschland gehört das Thema zu den spannendsten des Familienrechts bzw. Abstammungsrechts.
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