Der beschwerte Erbe

Hinterher beschweren gilt nicht!

Veröffentlicht am: 23.06.2020
Qualifikation: Rechtsanwalt in Hamburg
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Nach dem Erbfall müssen innerhalb kurzer Fristen entscheidende Weichen gestellt werden. Insbesondere pflichtteilsberechtigte Erben müssen sich entscheiden, ob sie die Erbschaft gegebenenfalls ausschlagen. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob der Nachlass möglicherweise überschuldet ist, sondern auch bei einem positiven Nachlass kann die falsche (oder verspätete) Entscheidung teuer werden, wie eine Entscheidung des Landgericht Offenburg nun eindrücklich zeigt (Urteil vom 18.07.2019 – Az. 2 O 445/18).

Vermächtnis über einen wesentlichen Teil des Nachlasses

Im vor dem Gericht behandelten Fall ist der Erblasser im Jahr 2017 verstorben. Mit Erbvertrag hatte er zuvor ein Vermächtnis zugunsten seines Enkels vorgesehen. Der Enkel sollte eine Wohnung erhalten, die nahezu den vollständigen Wert des Nachlasses ausmachte.

Nach dem Tod des Erblassers begehrte der Vermächtnisnehmer die Herausgabe der Wohnung. Geerbt hatte eine Erbengemeinschaft, die aus drei Personen bestand. Eine Miterbin verweigerte die Erfüllung des Vermächtnisses. Der Enkel klagte und bekam schließlich Recht.

Pflichtteilsanspruch der Beklagten?

Die beklagte Erbin machte geltend, dass sie als Tochter des Erblassers das Vermächtnis nur Zug-um-Zug gegen Zahlung ihres Pflichtteils erfüllen werde. Sie argumentierte damit, dass ihr als Erbin ein Pflichtteilsanspruch gegen den Kläger zustehe, da ihr durch die Vermächtniserfüllung weniger bliebe als ihr gesetzlicher Pflichtteil.

Sie folgerte hieraus ein Zurückbehaltungsrecht gegen die Forderung des Klägers. Der Kläger sollte ihr also einen entsprechenden Geldbetrag zahlen, bevor sie ihm das Eigentum an der Wohnung verschaffen würde. Dem setzten die Richter in ihrem Urteil aber einen Riegel vor.

Grundsätzlich kein Zurückbehaltungsrecht

Das Gericht erkannte, dass die Beklagte als Tochter des Erblassers grundsätzlich pflichtteilsberechtigt ist, so dass ihr die Hälfte ihres gesetzlichen Erbrechts als Pflichtteil zustünde. Dies gelte allerdings grundsätzlich nur für denjenigen Pflichtteilsberechtigten, der durch Verfügung von Todes wegen, also durch Testament oder Erbvertrag, von der Erbschaft ausgeschlossen ist. Dieser kann vom Erben seinen Pflichtteil verlangen.

Ausnahmsweise kann auch ein als Erbe berufener Pflichtteilsberechtigter, der mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert ist, den Pflichtteil verlangen, wenn er die Erbschaft ausschlägt, wobei die Ausschlagungsfrist erst ab Kenntnis der Beschränkung beginnt. Dies hatte die Beklagte jedoch nicht getan. Eine Einrede gegen das Vermächtnis scheidet daher aus. Die Beklagte musste mithin das Vermächtnis erfüllen, obwohl dies praktisch den vollständigen Nachlass ausmachte.

Ausschlagungsfrist nicht einfach verstreichen lassen!

Die Entscheidung des Landgerichts ist richtig und spiegelt den Gesetzeswortlaut wider. Gleichwohl ist dieses Ergebnis natürlich für die beschwerte Erbin äußerst unbefriedigend, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es bei richtiger Beratung im Vorfeld leicht hätte vermeiden werden können. In diesem Fall hätte der Kläger von den verbleibenden Erben die Wohnung erhalten und die Beklagte hätte ihren Pflichtteil gegenüber den Erben geltend machen können.

Übrigens hätte es auch Auswirkungen auf dem Kläger gehabt, wenn die Beklagte das Erbe rechtzeitig ausgeschlagen und ihren Pflichtteil geltend gemacht hätte. In diesem Fall hätten die verbleibenden Erben die Erfüllung des Vermächtnisses soweit verweigern können, dass der Vermächtnisnehmer sich verhältnismäßig an der Pflichtteilslast beteiligt (vgl. § 2316 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch).