Verfassungsverstoß bei steuerlichen Aussetzungszinsen?
Asymmetrie: Nachzahlungs- & Erstattungszinsen vs. Aussetzungszinsen
In diesem Beitrag wird die Rechtfertigung der unterschiedlichen Beurteilung von Zinssätzen bei Aussetzungs- bzw. Stundungszinsen und Nachzahlungs- bzw. Erstattungszinsen im Rahmen des Steuerbescheids genauer unter die Lupe genommen.
Im Juli 2021 hatte das Bundesverfassungsgericht die Verzinsung von Steuernachzahlungen und auch Steuererstattungen (§ 233a AO) in Höhe von 6 % p.a. bereits für die Zeit ab 2014 für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber aufgefordert, die Regelung mit Wirkung ab 2019 den tatsächlichen Gegebenheiten der im Zeitpunkt der Entscheidung bereits seit Jahren anhaltenden „Null-Zins-Phase“ anzupassen (BVerfG, Beschl. v. 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17).
Bei Stundungs-, Hinterziehungs- & Aussetzungszinsen bleibt Zinssatz von 6 %
Da sich die Entscheidung dem Wortlaut nach ausdrücklich nur auf die Nachzahlungs-/Erstattungszinsen, nicht aber auf die übrigen Steuernebenforderungen (z.B. Stundungs-, Hinterziehungs- oder Aussetzungszinsen) bezog, hat der Gesetzgeber mit § 238 Abs. 1a AO auch lediglich den Zinssatz für die Nachzahlungs-/Erstattungszinsen von 6 % p.a. auf nun 1,8 % p.a. herabgesetzt, für die übrigen vorgenannten Steuernebenforderungen den Zinssatz aber bei 6 % p.a. belassen.
Zweck der steuerlichen Verzinsung: Liquiditätsvorteile abschöpfen
Dabei sehen sich insbesondere die bei Aussetzung der Vollziehung zu zahlenden Zinsen (sog. Aussetzungszinsen, § 237 AO) als auch die bei Stundung von Steuerforderungen zu zahlenden Zinsen (Stundungszinsen, § 235 AO) den gleichen Bedenken – was die Höhe des Zinssatzes betrifft – ausgesetzt wie die Nachzahlungs-/Erstattungszinsen.
Denn Sinn und Zweck der Zinsregelungen ist in allen Fällen, Liquiditätsvorteile, welche sich aus der Nichtzahlung der Steuer ergeben (etwa dadurch, dass der Geldbetrag verzinslich am Kapitalmarkt anlegt werden kann), bei dem Steuerpflichtigen abzuschöpfen. Dies hatte so im Übrigen bereits der Bundesfinanzhof in einem Beschluss vom 3. September 2018 festgestellt (BFH v. 25.4.2013 – V R 29/11, BStBl. II 2013, 767).
Wieso die unterschiedliche Beurteilung der Zinssätze?
Das Bundesverfassungsgericht hatte es in seiner o.g. Entscheidung aber abgelehnt, auch über die Verfassungswidrigkeit der Zinssätze der Aussetzungs-, Stundungs- und Hinterziehungszinsen zu entscheiden, da diese zum einen bereits formal nicht zur Überprüfung stünden und zum anderen materiell auch andere Gesichtspunkte bei der Abwägung zu berücksichtigen seien.
Was die Aussetzungs- und Stundungszinsen angeht, hatte das Bundesverfassungsgericht dabei den Unterschied zu den Erstattungs-/Nachzahlungszinsen darin gesehen, dass der Steuerpflichtige es bei Aussetzung der Vollziehung bzw. Stundung ja jederzeit in der Hand habe, den Zinslauf durch Zahlung zu beenden; bei Nachzahlungszinsen würde sich ihm mangels Steuerfestsetzung diese Möglichkeit aber nicht bieten.
Höhe der Aussetzungs- & Stundungszinsen verfassungswidrig?
Hieraus zu schließen, das Bundesverfassungsgericht habe die Höhe der Aussetzungs-/Stundungszinsen gebilligt, wäre aber ein Trugschluss. Vielmehr hat das BVerfG lediglich die Gründe genannt, aus denen eine Übertragung seiner Entscheidung zu den Nachzahlungs-/Erstattungszinsen 1:1 auf die übrigen Zinsen nicht möglich sein soll.
Insbesondere im Hinblick auf das verfassungsrechtlich in Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz verankerte Rechtsstaatlichkeitsgebot und das Recht auf effektiven Rechtsschutz lässt sich aber alleine hieraus keine Rechtfertigung einer unterschiedlichen Zinshöhe gerade bei den Aussetzungszinsen herleiten, da sehr häufig der Steuerpflichtige faktisch gar nicht die Möglichkeit hat, die mit dem beeinspruchten Steuerbescheid festgesetzten Steuern gleichwohl erst einmal zu zahlen, sodass der im Vergleich zu den Nachzahlungszinsen deutlich höhere Zinssatz einem unzulässigen „Strafzuschlag“ für das durch den Steuerpflichtigen eingelegte Rechtsmittel gleich käme.
Abhilfe durch Einspruch gegen Steuerbescheid
Von daher sind die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts wohl auch eher dahingehend zu verstehen, dass an dieser Stelle lediglich eine positive Aussage betreffend die Verfassungswidrigkeit der Nachzahlungs-/Erstattungszinsen erfolgen sollte; keinesfalls aber kann aus der Entscheidung damit hergeleitet werden, dass die nach wie vor aktuelle Verzinsung von Aussetzungs- und Stundungszinsen von 6 % p.a. keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
Vielmehr spricht – auch mit Blick auf den o.g. Beschluss des BFH aus dem Jahr 2013 – viel dafür, dass auch bei den Aussetzungs-/Stundungszinsen ein Zinssatz von 6 % p.a. nicht mehr als verfassungskonform angesehen werden kann, wenn denn eine entsprechende Vorlage in Karlsruhe eingeht. Von daher sollte bei entsprechender Zinsfestsetzung in jedem Fall Einspruch gegen die Steuerbescheide eingelegt und die Bescheide insoweit offen gehalten werden.