Vorstandshaftung trotz Zustimmung von Aufsichtsrat und Aktionären?
BGH-Entscheidung im Aktienrecht
Ob im Einzelfall die Zustimmung des Aufsichtsrates oder die Zustimmung des alleinigen Gesellschafters im Rahmen der Vorstandshaftung den Vorstand entlasten, darüber hat der BGH kürzlich entschieden. Näheres zur Entscheidung im Aktienrecht im Folgenden.
Die Schlinge wird immer enger. Zumindest drängt sich der Eindruck auf, wenn sich der Blick auf die Haftung von Vorständen (und Geschäftsführern) richtet. So hat der Bundesgerichtshof jüngst entschieden, dass im Einzelfall weder die Zustimmung des Aufsichtsrates noch die Zustimmung des alleinigen Gesellschafters den Vorstand entlasten (BGH, Urteil vom 10.07.2018, Az. II ZR 24/17 – Schloss Eller).
Investitionsentscheidung als Haftungsfall
In dem Fall des BGH klagte eine nicht-börsennotierte Aktiengesellschaft, welche sich mit der Bewirtschaftung und Verwaltung eines großen kommunalen Immobilienvermögens beschäftigt. Alleiniger Aktionär war die Stadt Düsseldorf.
Das betreffende Vorstandsmitglied hatte im Vorfeld einer großen Investitionsentscheidung zur Sanierung einer Immobilie den Oberbürgermeister der Kommune, als alleinige Aktionärin, und den Aufsichtsratsvorsitzenden über Einzelheiten der angedachten Investition umfassend informiert. Die - jedenfalls dem Vorstand bekannten Risiken der Investition - bekannten (großen) Investitionsrisiken verwirklichten sich leider. Das betreffende Mitglied des AG-Vorstandes wurde vor dem Hintergrund eines zunächst auf knapp 3.000.000 EUR bezifferten Schadens durch die Gesellschaft verklagt.
Das Vorstandsmitglied verteidigte sich im Rahmen des Haftungsprozesses vor allem mit zwei Argumenten: Erstens sei der Aufsichtsratsvorsitzende umfassend über die Investitionsentscheidung informiert gewesen. Zweitens habe die Alleinaktionärin der Investitionsentscheidung zugestimmt.
Kompetenzverhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat
Grundsätzlich entscheidet der Vorstand einer Aktiengesellschaft allein und mithin vollkommen unabhängig von Aufsichtsrat und Aktionären über die Geschäfte der Aktiengesellschaft. So entscheidet der Vorstand grundsätzlich in eigener Verantwortung über Produktentwicklungen, Prozesse in der Produktion, Marketing und natürlich auch Investitionen.
Das Aktienrecht schränkt diese umfassende (Geschäftsführungs-)Kompetenz des Vorstandes dahingehend ein, dass der Aufsichtsrat zur Vorsehung eines Katalogs zustimmungsbedürftiger Geschäfte verpflichtet ist. Der Aufsichtsrat muss, mit anderen Worten, eine Liste von Geschäften definieren, zu deren Vornahme der Vorstand die (vorherige) Zustimmung des Aufsichtsrates benötigt. In der Praxis handelt es sich dabei um Geschäfte, die ein besonderes wirtschaftliches Gewicht / Risiko für die Gesellschaften haben (könnten). So war im Fall des BGH vorgesehen, dass für Bauten und Neuanschaffungen, welche im Einzelfall 200.000 EUR übersteigen, der Vorstand die Zustimmung des Aufsichtsrates einholen muss.
Festgehalten werden die zustimmungsbedürftigen Geschäfte meist in der Geschäftsordnung für den Vorstand oder in einer Anlage zur Geschäftsordnung. Daneben finden sich zustimmungspflichtige Geschäfte auch in der Satzung selbst. Letzteres erweist sich in der Praxis indes als unflexibel, da jede gewünschte Änderung des Zustimmungskatalogs eine (notariell zu beurkundende) Änderung der Satzung erfordert.
Zustimmungen des Aufsichtsrates
Die Zustimmung des Aufsichtsrates zu einer Geschäftsführungsmaßnahme erfolgt – wie der BGH ausdrücklich feststellt – durch förmlichen Beschluss. Der Beschluss muss somit sämtlichen nach Gesetz, Satzung und Geschäftsordnung des Aufsichtsrates notwendigen Formalien entsprechen. Insbesondere ist eine ordentliche Beschlussfassung des gesamten Aufsichtsrates erforderlich. Etwas andere gilt nur dann, wenn der Aufsichtsrat die Entscheidung über die Zustimmung auf einen Ausschuss oder ein einzelnes Mitglied (formal) übertragen hat. Möchte sich ein Vorstand unter Hinweis auf eine Zustimmung des Aufsichtsrates entlasten, so genügt der Hinweis wie vorliegend vom verklagten Vorstandsmitglied gemacht wurde, der Aufsichtsratsvorsitzende sei informiert gewesen, nicht.
Betreffend den Beschluss des Aufsichtsrates zur Zustimmung einer Geschäftsführungsmaßnahme ist zu beachten, dass der Beschluss nur dann als Zustimmung gewertet werden kann, wenn der Vorstand dem Aufsichtsrat sämtliche für die Zustimmung relevanten Informationen geliefert hat („informierte Entscheidung“). Hieraus folgt dreierlei: Erstens, verschweigt der Vorstand wesentliche Informationen, so kann sich der Vorstand auf einen zustimmenden Beschluss des AR nicht berufen. Zweitens, ändern sich Sachverhaltsumstände nach Zustimmung des AR aber vor Ergreifung der Maßnahme, muss der Vorstand eine neue Zustimmung des Aufsichtsrates herbeiführen.
Der BGH weist in seiner Entscheidung zum Aktienrecht zudem darauf hin, dass der Beschluss des Aufsichtsrates zur Zustimmung zeitlich vor der Vornahme der betreffenden Geschäftsführungsmaßnahme zu erfolgen hat. Die Zustimmung ist grundsätzlich eine vorherige Erlaubnis, keine nachträgliche Genehmigung. Auch nach der Entscheidung des BGH bleibt fraglich, ob Satzung oder Geschäftsordnung von diesem Grundsatz grundsätzlich abweichen kann.
Zustimmung der Aktionäre
Im vorliegenden Fall des BGH versuchte sich der Vorstand damit zu verteidigen, dass der Vertreter des Alleinaktionärs, hier der Oberbürgermeister der Kommune, der Geschäftsführungsmaßnahme vorab zugestimmt habe. Die AG würde denn rechtsmissbräuchlich handeln, wenn der Alleinaktionär der Maßnahme zustimme und im Nachgang die Gesellschaft, deren Interessen durch den Alleinaktionär gebildet werden, sich gegen den Vornahme der Maßnahme wende.
Das Gericht ließ den Einwand nicht gelten. Das Aktiengesetz sehe für eine entsprechende Enthaftung des Vorstandes einen formalen Beschluss der Hauptversammlung, welcher der Bedeutung der Angelegenheit Rechnung trage, vor. Nur auf einen solchen Beschluss könne sich der Vorstand zu seiner Verteidigung erfolgreich berufen.
(Rechtmäßiges) Alternativverhalten = Haftungsausschluss
Schlussendlich ist noch anzumerken, dass der BGH einem betroffenen Vorstandsmitglied den haftungsausschließenden Einwand zugesteht, der Schaden sei auch entstanden, wenn er sich rechtmäßig verhalten hätte. Die Beweislast hierfür trägt der Vorstand selbst. Vorliegend müsste der Vorstand also zur Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen, dass der Aufsichtsrat bei ausreichender Information durch den Vorstand in die betreffende Maßnahme mehrheitlich eingewilligt hätte. Kann er dies, kann dem Vorstand der eingetretene Schaden billigerweise nicht zugrechnet werden.
Praxistipps
Vorständen ist dringend angeraten, sich nicht auf Verlautbarungen von einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsrates oder von (Allein-/Groß-)Aktionären zu verlassen. Das Aktienrecht folgt strengen formalen Regeln, die zur Haftungsvermeidung befolgt werden sollten. Dies heißt, dass
- Zustimmungskataloge ernst zu nehmen sind,
- der gesamte Aufsichtsrat in die Zustimmungsfrage einzubeziehen ist,
- der Aufsichtsrat umfassend zu informieren ist,
- Zustimmungsbeschlüsse zu den eigenen Akten zu nehmen sind und
- zustimmenden Äußerungen von Aktionären keine Bedeutung beigemessen werden sollte.
Mehr zur Haftung und Haftungsvermeidung von Entscheidungsträgern finden Sie hier: Managerhaftung