Ausschlussfrist und Kündigung des Vorstandes

Zweiwochen-Frist, Kenntnis des Aufsichtsrates, DSGVO

Die Kündigung des Vorstandes ist aus Sicht der AG immer ein kleines Unterfangen. Zum einen ist die „normale“ (ordentliche) Kündigung meist kein gangbarer Weg. Zum anderen bereitet die zweiwöchige Frist des § 626 BGB dem Aufsichtsrat mit seinen mitunter vielen Mitgliedern oft Kopfzerbrechen.

Veröffentlicht am: 07.11.2024
Qualifikation: Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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Ein Vorstandsvertrag – oft auch als Vorstandsanstellungsvertrag oder Vorstandsdienstvertrag bezeichnet – ist aus rechtlichen Gründen nicht unbefristet. Mit anderen Worten, der Vorstandsvertrag kann meist nur außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt werden. Die Beendigung des Vorstandsvertrages bedarf daher meist eines besonders gewichtigen Kündigungsgrundes. Neben diesem außerordentlichen Kündigungsgrund muss zudem die für alle Dienst- und Arbeitsverträge geltende Zweiwochen-Frist des § 626 BGB eingehalten werden. Dass diese beiden Punkte – Kündigungsgrund und Kündigungsfrist – in der Praxis immer wieder anfällig für Streit sind, zeigt ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts München (OLG München, 31.7.2024 – Az. 7 U 351/23).

Kündigungsgrund – Verletzung, Geheimnisschutz und Datenschutz

Im Fall des OLG München klagte ein ehemaliger Vorstand einer Aktiengesellschaft (AG) gegen die fristlose Kündigung seines Vorstandsvertrages. Der klagende Vorstand war über viele Jahre als Vorstandsmitglied der AG tätig. Vertraglich war er ausdrücklich zur Geheimhaltung betrieblicher Angelegenheiten verpflichtet. Insbesondere war es ihm untersagt, vertrauliche Informationen an Unbefugte weiterzugeben. 

Trotz dieser Verpflichtung leitete der Vorstand über mehrere Monate hinweg dienstliche E-Mails nicht nur an die vorgesehenen Empfänger, sondern auch an seine private Freemail-Adresse (gmx.de) weiter. Im Mai 2021 schickte er solche E-Mails zudem an ein Aufsichtsratsmitglied, wobei er auch hier seine private Adresse im „cc“-Feld sichtbar angab. Ein anderes Vorstandsmitglied entdeckte diesen Vorgang dann zufällig im September 2021. Anfang Oktober informierte dieses Vorstandsmitglied dann den Aufsichtsrat in dessen Sitzung am 11. Oktober 2021. Noch am selben Tag beschloss der Aufsichtsrat, den Vorstand mit sofortiger Wirkung abzuberufen und den Vorstandsdienstvertrag aus wichtigem Grund zu kündigen. Das Kündigungsschreiben erhielt der Kläger zwei Tage später, am 13. Oktober 2021.

(Keine) unwirksame Kündigung des Vorstandsvertrages?

Der gekündigte Vorstand brachte vor, dass die Kündigung unwirksam sei. Zum einen stelle die Versendung dienstlicher Emails an seine Privatadresse keine Pflichtverletzung dar. Zum anderen sei die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB im Oktober 2021 bereits abgelaufen gewesen. Der Aufsichtsrat hätte bereits im Mai 2021 von den für die Kündigung relevanten Vorgängen Kenntnis gehabt. Das OLG München sah das indes in beiden Punkten anders und bestätigte die außerordentliche Kündigung des Vorstandes.

Kündigungsfrist – Kenntnis des Aufsichtsrates?

Eine außerordentliche Kündigung kann nach § 626 BGB nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist der zwei Wochen beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

Für den Vorstand der AG entspricht es der herrschenden Auffassung, dass es auf die Kenntnis des Aufsichtsrates, als dem zur Kündigung berechtigten Organ, ankommt. Der Aufsichtsrat sei ein Kollegialorgan, das seinen Willen allein durch eine Beschlussfassung bilden könne. Die Kenntnis eines einzelnen Aufsichtsratsmitgliedes sei nur insofern relevant, als dieses für eine zeitnahe Beschlussfassung zu sorgen habe. Vereinfacht gesprochen: Erlangt ein Aufsichtsratsmitglied Kenntnis von Umständen, welche eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, habe dieses auf eine unverzügliche Beschlussfassung durch das Kollegialorgan Aufsichtsrat hinzuwirken. 

Im Fall des OLG München bestand das „Problem“ darin, dass ein Aufsichtsratmitglied im Mai 2021 eine Email als Adressat erhalten hatte, bei welcher der betroffene Vorstand seine private Freemail-Adresse als zusätzliche Empfängeradresse in cc gesetzt hatte. Das betroffene Aufsichtsratsmitglied konnte damit theoretisch die Pflichtverletzung erkennen.

In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Verjährungsregelung in § 199 BGB kommt es nach Auffassung des OLG München auf ein „die Augen vor einer sich ihm aufdrängenden Kenntnis verschließen“ (was womöglich der grob fahrlässigen Unkenntnis entspricht) an. Im konkreten Fall verneinte das OLG München dies. In der maßgeblichen E-Mail aus dem Mai 2021 habe die private E-Mail-Adresse im E-Mail-Verteiler („cc“) nur eine untergeordnete Rolle gespielt; der Fokus der E-Mail habe allein auf dem E-Mail-Inhalt gelegen. 

Kündigungsgrund – Geheimnisschutz nein, Datenschutz ja

Interessant ist, dass das OLG München ohne großes Zögern eine Verletzung der Geheimhaltungspflicht bzw. Verschwiegenheitsverpflichtung verneint hat. In knappen Worten stellte es fest, dass eine Speicherung einer Email auf einem Freemail-Server keine Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG darstelle. Dies verwundert, da die AGB von Freemail-Anbietern aus Werbegründen üblicherweise eine „Mitlese-Möglichkeit“ für den Anbieter vorsehen. Das OLG München ist auf diesen Umstand in keiner Weise eingegangen (womöglich, weil dies nicht vorgetragen wurde).

Allerdings bejaht das Gericht schnell eine Verletzung der sogenannten Legalitätspflicht des Vorstandes: „[…] stellt die Weiterleitung der Emails auf den privaten Account des Klägers und die dortige Speicherung eine Verarbeitung iSd. Art. 4 Nr. 2 DSGVO dar, die nicht durch eine Einwilligung der betroffenen Personen gedeckt war (Art. 6 Abs. 1 lit. DSGVO)“. Aufgrund der wiederholten Weiterleitung besonders sensibler Daten sei der AG ein Fortbestand des Vorstandsvertrages nicht zumutbar gewesen und mithin ein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben.

Praxistipps für Vorstand, Aufsichtsrat und AG

In der Praxis stellen Kündigungsgrund und Kündigungsfrist hohe Hürden bei der Beendigung des Anstellungsvertrages eines Vorstandes dar. Der Aufsichtsrat einer AG ist gehalten, etwaige Kündigungsgründe unverzüglich zu prüfen und unverzüglich eine Entscheidung über die Kündigung zu treffen. Der Vorstand ist im Fall der Kündigung seines Vorstandsvertrages gehalten, einen spezialisierten Fachanwalt zu beauftragen, der sich auch mit den diffizilen Feinheiten auskennt.