Streit, Boykott und Abberufung im Aufsichtsrat

Bestellung und Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrates

Insbesondere in kleineren Aktiengesellschaften ist der Aufsichtsrat kein homogenes Gremium. Oft sind dessen Mitglieder ein Abbild der unterschiedlichen Aktionärsgruppen, sodass Meinungsverschiedenheiten, Streit und Boykott an der Tagesordnung sind. Wie solche Konflikte aufgelöst werden können, ist rechtlich oft fraglich. Eine Entscheidung des BGH bringt mehr Klarheit, wenn es um Abberufung und Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern geht.

Veröffentlicht am: 13.05.2024
Qualifikation: Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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Streit und Boykott im Aufsichtsrat

Im Fall des BGH (Beschluss vom 9.1.2024 – II ZB 20/22) wählten die beiden einzigen Aktionäre ein neues Mitglied des Aufsichtsrates. Der nach der Satzung vorgesehene dreiköpfige Aufsichtsrat war damit wieder „vollständig“. Bereits kurze Zeit nach der Wahl zeigte sich, dass eine Zusammenarbeit zwischen diesem neuen Mitglied und den beiden anderen Mitgliedern nicht möglich war. Jedenfalls nahm das neue Mitglied an mehreren einberufenen Aufsichtsratssitzungen nicht teil. Auch an Umlaufbeschlüssen beteiligte sich das neue Aufsichtsratsmitglied nicht. Hintergrund waren offensichtlich Ansprüche, deren Geltendmachung das neue Aufsichtsratsmitglied zu verhindern suchte.

Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Ersatzmitglieds für den Aufsichtsrat

Die anderen Aufsichtsratsmitglieder sowie zwei Vorstände der Aktiengesellschaft beantragten daraufhin beim Registergericht, für die Dauer bis zur Bestellung eines neuen Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung, ein Ersatzaufsichtsratsmitglied für den neu bestellten Aufsichtsrat zu bestellen (§ 104 Abs. 1 AktG). Dieser verweigere seine Mitwirkung im Aufsichtsrat und führe dessen Beschlussunfähigkeit herbei. Sowohl das Registergericht, das OLG Jena als auch letztlich der BGH lehnten im Ergebnis die gerichtliche Bestellung eines Ersatzmitglieds indes ab.

(Keine) Bestellung eines Ersatzmitgliedes

Nach § 104 Absatz 1 AktG können der Vorstand, ein Aufsichtsratsmitglied oder ein Aktionär das Gericht um Ergänzung des Aufsichtsrats ersuchen, wenn dem Aufsichtsrat die nach Gesetz oder Satzung nötige Mitgliederzahl zur Beschlussfassung fehlt. Dem gleichgestellt wird die dauerhafte Verhinderung eines Aufsichtsratsmitglieds. Hinderungsgründe können rechtlicher (z.B. Geschäftsunfähigkeit) oder tatsächlicher (z.B. Krankheit, Unerreichbarkeit) Natur sein.

Dies war vorliegend aber nicht der Fall, weil der Aufsichtsrat die notwendige Mitgliederzahl (drei) tatsächlich hatte. Der Umstand, dass die anhaltende Nichtteilnahme an Beschlussfassungen zu einer anhaltenden Beschlussunfähigkeit führte, erachtete der BGH als nicht ausreichend.

Abberufung des Aufsichtsrates aus wichtigem Grund

Das Gericht zeigte jedoch einen anderen Weg auf, die Boykottsituation aufzulösen. Das Aktiengesetz erlaubt auf Antrag des Aufsichtsrates die (gerichtliche) Abberufung eines Aufsichtsratsmitgliedes, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt (§ 103 Abs. 1 AktG).

Vorliegend stellten sich in diesem Zusammenhang zwei Fragen: Erstens, wie kann der Aufsichtsrat einen Beschluss für den gerichtlichen Antrag stellen, wenn es keine Beschlussfähigkeit gibt? Zweitens, liegt in der andauernden Vereitelung der Beschlussfähigkeit ein wichtiger Grund für die Abberufung?

Die erste Frage beantwortete der BGH dahingehend, dass im Fall eines dreiköpfigen Aufsichtsrates (bei dem immer alle drei Mitglieder für die Beschlussfähigkeit notwendig sind), ausnahmsweise ein Beschluss durch zwei Mitglieder wirksam herbeigeführt werden kann.

Die zweite Frage beantwortete der BGH (in Anlehnung an OLG München, 28.8.2018, 31 Wx 61/17) dahingehend, dass ein nachweisbares Boykottverhalten einen wichtigen (außerordentlichen) Grund für die Abberufung eines Aufsichtsrates darstellen kann.

Praxistipp  Was man (noch) zum Streit im Aufsichtsrat wissen sollte

Der Aufsichtsrat ist in gewisser Hinsicht das Zünglein an der Waage. Ihm obliegt es, den Vorstand zu bestellen, abzuberufen, zu entlasten und zu verklagen. Dem Aufsichtsrat obliegt es auch, seine Zustimmung zu wichtigen Entscheidungen des Vorstandes zu geben oder zu verweigern. Umso wichtiger ist es, den Aufsichtsrat handlungsfähig zu halten. Dazu gehört es, über Ersatzmitglieder nachzudenken, die bei „Ausfall“ eines Aufsichtsrates automatisch nachrücken. Dazu gehört es auch, über einen Vorstand mit mehr als drei Mitgliedern nachzudenken – der „Ausfall“ eines Mitglieds führt dann nicht zur Beschlussunfähigkeit. Ein Streit im / um den Aufsichtsrat liegt immer in der Luft.