Stimmverbot reloaded – Kein Richter in eigener Sache

Warum im Gesellschafterstreit ein Anwalt nicht unwichtig ist

Wenn Gesellschafter sich streiten, kommt dem Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung eine enorme Bedeutung zu. Oft geht es dabei um Ansprüche gegen Gesellschafter-Gesellschafter, doch auch Investoren („Kapital-Gesellschafter“) können ihr Stimmrecht verlieren.

Veröffentlicht am: 22.11.2023
Qualifikation: Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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Stimmrechte und Stimmverbote spielen vor allem in einem Gesellschafterstreit eine große Rolle. Sie entscheiden darüber, ob Gesellschafterbeschlüsse eine Mehrheit bekommen oder nicht. Doch wann darf ein Gesellschafter mit abstimmen? Wann greifen Stimmverbote? Wer entscheidet in der Gesellschafterversammlung, ob eine Stimme zählt oder nicht?

Eine ganz aktuelle Entscheidung des BGH (Urteil) vom 08.08.2023 – Az. II ZR 13/22 zeigt, dass die Antworten auf diese Fragen immer wieder grundsätzliche Fragen zum Stimmverbot aufwerfen.

Ablehnung des Schadensersatzanspruchs durch Gesellschafterversammlung

Die Entscheidung des BGH betraf die Situation, in der die Gesellschafterversammlung einer GmbH über die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen eine 100 %-Tochtergesellschaft, zu entscheiden hatte. Gesellschafter der GmbH waren der Kläger und zwei weitere Gesellschafterinnen. Diese beiden waren zudem die alleinigen Gesellschafter der Tochtergesellschaft. Eine von beiden war zudem die Geschäftsführerin der GmbH.

Bei der Beschlussfassung über die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gegen die Tochtergesellschaft stimmten die beiden Mitgesellschafterinnen des Klägers gegen die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche. Aufgrund ihrer ablehnenden Stimmen kam eine Beschlussmehrheit damit nicht zustande; die Ansprüche konnten so nicht geltend gemacht werden.

Stimmverbot oder Stimmrecht?

Nach Auffassung des für das Gesellschaftsrecht zuständigen Senats des BGH war der Beschluss der Gesellschafterversammlung unwirksam. Die beiden Gesellschafterinnen hätten bei der Abstimmung nicht mitstimmen dürfen, da sie ein Stimmverbot bei der Beschlussfassung gehabt hätten.

Das GmbH-Gesetz verbietet es, dass ein Gesellschafter bei einer Beschlussfassung mitstimmt, wenn es die „Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits gegenüber einem Gesellschafter" betrifft (§ 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 2 GmbHG). Mit anderen Worten: Ein Gesellschafter hat ein Stimmverbot, wenn der betreffende Beschluss ihn tangiert – sei es, weil mit ihm ein Vertrag geschlossen werden soll oder, weil eine Klage gegen ihn erhoben werden soll.

Der BGH zögerte nicht. Die Beschlussfassung der Gesellschafter ziele mittelbar darauf ab, Klage gegen die beiden Gesellschafterinnen zu erheben – beide seien schließlich die alleinigen Gesellschafter der Tochtergesellschaft. Ausgehend vom Grundsatz „Keiner soll Richter in eigener Sache sein“ komme auch in solchen Fällen ein Stimmverbot zum Tragen.

Stimmverbote im Gesellschaftsrecht – Kein Richter in eigener Sache

Das Urteil des BGH verdeutlicht noch einmal die Bedeutung des Grundsatzes „Kein Richter in eigener Sache“ im Gesellschaftsrecht. Der Grundsatz bildet das gedankliche Fundament für sämtliche Stimmverbote in allen Gesellschaftsformen.

Bei der Anwendung des Grundsatzes sollten nach Meinung des Autors zwei gegenläufige Punkte beachtet werden: Stimmverbote bedeuten einerseits einen massiven Eingriff in die (Stimm-)Rechte eines Gesellschafters. (Stimm-)Rechte eines Gesellschafters dürfen nicht missbräuchlich genutzt werden. 

Warum ein Anwalt für Corporate Litigation sinnvoll ist

Der Fall des BGH zeigt noch einmal deutlich, warum die Beratung durch einen Anwalt bzw. Fachanwalt mit Expertise im Gesellschaftsrecht, insbesondere im Gesellschafterstreit und in Corporate Litigations hilfreich ist.

Der Kläger ging mit seiner Klage nicht nur gegen die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung vor. Er wollte darüber hinaus festgestellt wissen, dass er als Vertreter der GmbH den Schadensersatz geltend machen darf (und nicht die betroffene Mitgesellschafterin, die zugleich Geschäftsführerin war). Dieser Antrag stand jedoch nicht auf der Tagesordnung der Gesellschafterversammlung. Der BGH entschied sachgerecht, dass der Antrag des Klägers nicht durchgreift – ohne Tagesordnungspunkt kein Gesellschafterbeschluss (den das Gericht „gestalten“ kann).

Was hätte der Kläger anders machen sollen? Nun, ein guter Anwalt hätte den Kläger bereits vor der Gesellschafterversammlung darauf hingewiesen, dass die Gesellschafterversammlung auch über die Person bestimmen kann, die Klagen gegen Geschäftsführer (und Gesellschafter) erhebt. In einem Gesellschafterstreit ist – jedenfalls aus Sicht des Minderheitsgesellschafters – die Bestimmung der Personen, die die GmbH im Prozess gegen Geschäftsführer und Gesellschafter vertreten (sogenannte Prozessvertreter), ein Muss. Überhaupt gilt: Auf die Auseinandersetzung mit den Mitgesellschaftern sollte man sich vorbereiten.

PS: Über die Frage, ob ein Stimmverbot besteht oder eine Stimme zählt, entscheidet der Versammlungsleiter. Seine Position ist also auch nicht ganz unwichtig.