Haftung von faktischen Geschäftsführern
OLG Schleswig zur Haftung in Krisensituationen
Zur Haftung von bloß faktischen Geschäftsführern sind noch viele Fragen offen. Das OLG Schleswig schafft mit seinem aktuellen Urteil weitere Klarheit bei diesem für Betroffene potenziell existenzbedrohenden Thema.
Haftung von Geschäftsführern und die Rolle des Insolvenzverwalters
Die Haftung von GmbH-Geschäftsführern ist in der anwaltlichen Beratungspraxis stets ein sensibles Thema. Die Geschäftsführer unterliegen generell einem umfangreichen Haftungsregime und müssen nicht nur ihre vertraglichen Pflichten gegenüber der Gesellschaft erfüllen, sondern werden insbesondere in Krise und Insolvenz auch mit speziellen Haftungsnormen konfrontiert.
Die Haftung in der Insolvenz ergibt sich nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus § 15b InsO der Insolvenzordnung (vormals für die GmbH aus § 64 GmbHG). In diesen Fällen haftet der Geschäftsführer im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft. In der Insolvenz werden die Ansprüche der Gesellschaft dann nicht mehr von den Gesellschaftern geltend gemacht, die den Geschäftsführer berufen haben und zu dem oft ein enges Vertrauensverhältnis besteht. Sie werden dann vielmehr vom Insolvenzverwalter zugunsten der Insolvenzgläubiger durchgesetzt.
Gerade in Krisenzeiten holen sich Unternehmen häufig externe Berater ins Boot, als Sanierungs- und Restrukturierungsexperten. Diese sollen gemeinsam mit der laufenden Geschäftsführung Konzepte zur Sanierung erarbeiten und bei Verhandlungen mit Gläubigern und Banken unterstützen. Das sich daraus ergebende Haftungsrisiko ist jedoch beträchtlich, wenn externe Berater faktisch in die Rolle der Geschäftsführung hineinrutschen, auch ohne formal als Organ bestellt zu sein. Denn wer im Außenverhältnis die Geschicke der Gesellschaft tatsächlich wie ein Geschäftsführer prägt, kann sich mit denselben Haftungsfolgen konfrontiert sehen wie ein formell bestellter Geschäftsführer. Dieses Phänomen wird unter dem Schlagwort „faktische Geschäftsführung“ diskutiert. Da das Gesetz hierzu schweigt, sind die Voraussetzung der sich daraus ergebenden umfangreichen Haftung nicht sehr transparent.
Aktuell hatte das OLG Schleswig in einem Urteil (Urt. v. 27.11.2024 – 9 U 22/24, NZG 2025, 260) Gelegenheit, sich mit den Fragen rund um die faktische Geschäftsführung zu beschäftigen.
Ausgangslage und Rechtsprechung des BGH
Die Rechtsprechung des BGH hat über die Jahre sehr hohe Hürden an die Annahme einer faktischen Geschäftsführung angelegt. Maßgeblich ist danach, ob eine Person „im Außenverhältnis“ die Geschäfte der Gesellschaft maßgeblich lenkt und der tatsächliche Entscheidungsträger ist. Es reicht dafür nicht aus, bloß beratend tätig zu sein oder intern Einfluss auf die formelle Geschäftsführung auszuüben. Entscheidend ist vielmehr ein eigenes, nach außen zudem hervortretendes Handeln. So ist beispielsweise ein Indiz, wenn der Berater tatsächlich Zahlungen bei Banken anweist, Verträge selbst unterschreibt, Mitarbeiter einstellt oder auch zentrale strategische Fragen eigenmächtig entscheidet.
Die Rechtsprechung fordert zudem, dass ein faktischer Geschäftsführer in „überragender Weise“ die formell bestellten Geschäftsführer aus der eigentlichen Geschäftsführung verdrängt. Klassische Anzeichen für faktische Geschäftsführung sind dabei auf den faktischen Geschäftsführer lautende Kontovollmachten oder weitreichende Generalvollmachten. Auch das Auftreten nach außen als „Geschäftsführer“ (z.B. E-Mail-Signaturen, Briefköpfe etc.) ist ein Indiz. Nur wenn solch deutliche Merkmale vorhanden sind, nimmt die Rechtsprechung eine faktische Geschäftsführung mit entsprechenden Haftungsfolgen an.
Für die im Urteil maßgeblichen Sanierungsberater bleibt die Lage stets heikel, denn sie werden stets in insolvenznahen und damit haftungsträchtigen Situationen tätig und sie müssen stets darauf achten, nicht in eine faktische Geschäftsführerrolle zu geraten.
Das Urteil des OLG Schleswig
Im Fall, den das OLG Schleswig zu beurteilen hatte, wurde ein externer Sanierungsberater von der dem Insolvenzverwalter einer GmbH nach deren fehlgeschlagener Sanierung in Anspruch genommen. Die GmbH hatte zuvor einen umfassenden Beratervertrag mit einer Restrukturierungsfirma geschlossen, und deren Sanierungsberater ist dann persönlich als „Chief Restructuring Officer (CRO)“ und als Mitglied „der Geschäftsleitung“ im Unternehmen aufgetreten. Obwohl der Berater nie als formeller Geschäftsführer bestellt und somit im Handelsregister nicht eingetragen war, nahm ihn der Insolvenzverwalter als faktischen Geschäftsführer auf Millionenzahlung in Anspruch. Er verlangte Ersatz von Zahlungen, die nach seiner Auffassung während der Insolvenzreife geleistet worden waren (§ 64 Satz 1 GmbHG aF, heute § 15b Abs. 4 InsO) und für die der faktische Geschäftsführer zu haften hätte.
Das OLG Schleswig hat in seinem Urteil jedoch – der Vorinstanz folgend – klargestellt, dass eine faktische Geschäftsführung nur bei Vorliegen strenger Voraussetzungen angenommen werden könne. Dem Berater fehlten jedoch entscheidende Befugnisse wie eine Kontovollmacht, und er war zwar im Unternehmen geschäftsleitend präsent, trat aber erkennbar nur als Berater auf und veranlasste keine eigenmächtigen, ohne die formell bestellten Geschäftsführer abgestimmten Entscheidungen im Außenverhältnis. Eine entsprechende „Verdrängung“ der ordentlichen Geschäftsführung habe nach Auffassung des OLG somit nicht stattgefunden.
Der externe Berater habe sich zwar maßgeblich eingebracht, sich jedoch nicht nach außen als Geschäftsführer geriert. Dementsprechend hafte er nicht nach den Organhaftungsregeln als faktischer Geschäftsführer.
Ergebnis und offene Fragen
Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Haftungsgefahren für faktische Geschäftsführer zwar hoch, jedoch die Anforderungen an die Annahme einer solchen faktischen Geschäftsführung ebenfalls hoch sind. Berater, (Allein-)Gesellschafter, Investoren oder andere Dritte mit maßgeblichem Einfluss auf ein Unternehmen, müssen freilich wachsam bleiben: Schon kleine Details können im Ergebnis in der Gesamtschau zu der Begründung einer faktischen Geschäftsführung führen.
Auch wenn das OLG Schleswig in seiner aktuellen Entscheidung weitere Eckpfeiler setzt – keine alleinige Entscheidungsmacht, keine eigene Kontovollmacht, keine eigenmächtigen Abschlüsse – lässt sich im Einzelfall oft nur schwer vorhersagen, wann die bloße Unterstützung der formellen Geschäftsführung endet und wann faktische Geschäftsführung beginnt.
Besonders in Krisensituationen herrscht häufig Zeitdruck, sodass Berater schnell in operative Entscheidungen eingebunden sind. Kommt es später zur Insolvenz, prüfen die Insolvenzverwalter die Rolle dieser Personen besonders intensiv, um weitere Haftungsquellen für die Insolvenzmasse zu erschließen.
Handlungsempfehlung für die Praxis
- Externe Berater klar abgrenzen: Sanierungs- und Restrukturierungsberater sollten ihre Rolle eindeutig als bloß beratend definieren. Der Beratervertrag sollte ausdrücklich klarstellen, dass nur Empfehlungen ausgesprochen werden, während Entscheidungen bei den formellen Organen verbleiben.
- Keine nach außen wirkende Vertretungsmacht: Achten Sie darauf, dass Berater keine (alleinige) Kontovollmacht, Prokura oder Generalhandlungsvollmacht erhalten. Auch Signaturen in E-Mails sollten deutlich machen, dass nicht als Geschäftsführer gehandelt wird.
- Dokumentation der Zustimmung: Sämtliche bedeutenden Entscheidungen – insbesondere Zahlungen, Kredite, wichtige Verträge – sollten die formellen Geschäftsführer selbst unterzeichnen. Berater können vorbereiten, aber nicht final entscheiden.
- Rollen und Zuständigkeiten intern sauber regeln: Protokolle oder interne Notizen sollten belegen, dass die Letztentscheidung bei der Geschäftsführung lag. Hierdurch lassen sich spätere Behauptungen einer „Verdrängung“ entkräften.
Das Urteil des OLG Schleswig zeigt erneut auf, dass eine Haftung wegen faktischer Geschäftsführung nur unter strengen Voraussetzungen greift. Für externe Sanierer ist das zwar erst einmal beruhigend. Trotzdem bleibt angesichts des immensen Haftungspotenzials anzuraten, ihre Rolle und Befugnisse umsichtig zu gestalten und zu dokumentieren, damit sie im Ernstfall nicht ins Visier umtriebiger Insolvenzverwalter geraten. Wer dies beherzigt, auch vertraglich eine reine Beratungstätigkeit festschreibt, die Entscheidungen nur vorbereitet nicht umsetzt, und dies im Alltagsgeschäft konsequent durchhält, steht auf der sicher(ere)en Seite.
Weitere Infos zum Thema finden Sie hier: Geschäftsführerhaftung und Haftungsvermeidung in der GmbH