Volle Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten bei der Erbschaftsteuer
Zwingende Abzinsung von unverzinslichen Erblasserschulden mit unbestimmter Restlaufzeit?
Bei der erbschaftsteuerlichen Veranlagung müssen Nachlassverbindlichkeiten ohne Fälligkeitszeitpunkt und ohne Verzinsung nicht abgezinst werden.
Bei der Erbschaftsteuer bzw. bei der erbschaftsteuerlichen Veranlagung kann der Erbe Nachlassverbindlichkeiten als Abzugsposten geltend machen. In bestimmten Fällen kann der Erbe jedoch nicht den vollen Nennbetrag der Verbindlichkeit zu seinen Gunsten abziehen und muss wegen der gesetzlich vorgesehenen Abzinsung der Verbindlichkeit mit 5,5 % gegebenenfalls erhebliche Kürzungen hinnehmen. Das gilt aber nicht immer. In einem kürzlich von uns geführten Einspruchsverfahren konnten wir durchsetzen, dass das Finanzamt von der Abzinsung absieht. Wie haben wir das gemacht?
Grundsätzlich Abzinsung bei Nachlassverbindlichkeiten mit Restlaufzeit
Erbschaftsteuerpflichtig ist nur der bei dem Erben eingetretene Reinerwerb, § 10 Abs. 1 Satz 1 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG). Nachlassverbindlichkeiten sind abzuziehen, § 10 Abs. 5 ErbStG. Maßgeblich ist grundsätzlich der Nennwert der konkreten Verbindlichkeit. Ist die Verbindlichkeit im Zeitpunkt des Erbfalles jedoch noch nicht fällig oder ist sie ratierlich zurückzuzahlen (Laufzeit > 1 Jahr), muss sie grundsätzlich abgezinst werden, § 12 Abs. 3 Bewertungsgesetz (BewG). Die unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt des Erbfalles statistisch bestehenden Lebenserwartung des Erblassers (Tabelle 1 zu § 12 Abs. 3 BewG des Anhangs B10 ErbStG). Es gilt auch insoweit der vertraglich ursprünglich zwischen dem Erblasser und dem Gläubiger vereinbarte Zinssatz, bei fehlender vertraglicher Vereinbarung beträgt der Zinssatz nach dem Gesetz 5,5 %. All dies gilt auch bei etwaigen Darlehensverbindlichkeiten eines Erblassers oder einer Erblasserin.
Ein Sonderfall: Privatdarlehen ohne Verzinsung und vereinbarten Rückzahlungszeitpunkt
Gerade bei Darlehen oder sonstigen Verträgen im Privat- oder Familienkreis unterbleibt häufig eine irgendwie nachvollziehbare und belegbare Vereinbarung über die Verzinsung und über den Zeitpunkt der Rückzahlung. Die vor Darlehensgewährung im Familien oder Freundeskreis geführten Gespräche werden in aller Regel nicht dokumentiert, gar nicht selten verzichten die Vertragsparteien sogar bewusst auf die Verzinsung des Darlehens. Dies beispielsweise dann, wenn ein Darlehen einem in finanzielle Not geratenen Angehörigen gewährt wird oder weil man generell im engsten Nähebereich bewusst keine Gewinne erzielen will. Auch der konkrete Zeitpunkt der Rückzahlung des Darlehens wird häufig ganz bewusst offen gelassen, in aller Regel gilt dann: „Zahl‘ es halt dann zurück, wenn du kannst.“ Die Fälligkeit der Rückzahlungsforderung ist damit unbestimmt.
Keine Regelung ist auch eine Regelung – sagt der BFH!
Voraussetzung für den gesetzlichen Abzinsungszwang ist jedoch, dass die Verbindlichkeit „…zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig…“ ist, § 12 Abs. 3 BewG. Dieses Tatbestandsmerkmal liegt indes bei bewusstem Verzicht auf eine Fälligkeitsvereinbarung nicht vor.
Richtigerweise entschied der BFH bereits vor Jahrzehnten, dass „…§ 12 Abs. 3 BewG voraussetzt, dass die Forderung zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig gestellt worden ist (s. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH – vom 22. November 1962 II 175/60 U, BFHE 76, 127, BStBl III 1963, 46 zu § 14 Abs. 1, 3 BewG 1934)…“ und dass „…diese Vorschrift hier nicht zu Anwendung (kommt), weil die Parteien die Fälligkeit bewusst offen gelassen haben.“ (BFH, Urteil vom 14.02.1984, VIII R 41/82).
Qualifizierte rechtliche Beratung zahlt sich aus!
Alles in allem also ein sperriges und nicht im ersten Zugriff gut fassbares Thema mit einem gewissen Frustpotenzial für den nicht fachgerecht beratenen erbschaftsteuerpflichtigen Erben. Lässt sich im Einspruchsverfahren gegen einen unrichtigen Steuerbescheid jedoch glaubhaft nachweisen, dass der Erblasser und sein Gläubiger bei der Gewährung eines Darlehens dessen Rückzahlungsfälligkeit bewusst offen ließen, muss die Abzinsung der entsprechenden Nachlassverbindlichkeit unterbleiben. Der Fall zeigt exemplarisch, dass bei der Erbschaftsteuerveranlagung der Teufel mitunter im kleinsten Detail steckt. Steuerpflichtige können sich nicht darauf verlassen, dass die Finanzämter auf etwaige Sachverhaltsaspekte hinweisen, die zu einer steuerlichen Besserstellung führen. Es obliegt dem Steuerpflichtigen selbst, die insoweit erheblichen Sachverhalte gegenüber dem Finanzamt darzulegen. Deshalb ist qualifizierter Rat gerade bei der Erbschaftsteuer durch Steuerberater und Fachanwälte und Fachanwältinnen für Erb- und Steuerrecht unabdingbar.