Lindner: Mehr Überstunden gegen die Wirtschaftskrise

Rechtliche Prüfung von absurder Äußerung des Finanzministers

Der Vorschlag des Finanzministers Lindner, mehr Überstunden gegen die Wirtschaftskrise zu fordern, wird hier einmal rechtlich beleuchtet.

Veröffentlicht am: 26.06.2022
Qualifikation: Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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Nimmt ihn eigentlich noch jemand ernst im Sommer 2022? So viele Aussagen des Finanzministers Christian Lindner haben wir schon auf der Uhr, die 

  • offensichtlich jeglicher faktischer Grundlage entbehren,
  • von nicht vorhandenem wirtschaftlichen Grundverständnis zeugen und 
  • rechtlich schlicht nicht umzusetzen sind.

Nun also: mehr Überstunden sollen die deutschen Arbeitnehmer machen, um die Wirtschaftskrise und die Inflation abzuwehren. Da kommt einem als Arbeitnehmer in diesem Land gelinde gesagt doch die Galle hoch. 

Lindner fordert mehr Überstunden 

Was war passiert? Am Freitag, den 24. Juni 2022 twitterte Finanzminister Lindner, man brauche "mehr Überstunden, um unseren Wohlstand zu sichern". Immerhin seien wir in einer fragilen Lage. "Steuererhöhungen würden die Stärke der Wirtschaftslage sabotieren.".

Wm in diesem Satz übrigens dieser "unsere" Wohlstand galt, darf natürlich jeder für sich selbst interpretieren.

Rechtslage: Überstunden im deutschen Arbeitsrecht 

Fangen wir mit dem kleinen rechtlichen 1 mal 1 des deutschen Arbeitsrechts für den Finanzminister an: Überstunden dürfen vom Arbeitgeber nur angeordnet werden, wenn das im Arbeitsvertrag vorgesehen ist. Selbst wenn sie dennoch freiwillig geleistet werden, müssen sie grundsätzlich in Geld vergütet oder abgebummelt werden. 

Die meisten Regelungen in Arbeitsverträgen in der Praxis dazu sind übrigens unwirksam. 

Mehr zu Überstunden erfahren Sie auf unserer Webseite zum Thema: Überstunden - abbauen, ausbezahlen, abgelten

Impulse aus Europa zum Schutz der Arbeitnehmer 

Dass das bisher Arbeitgeber in der Praxis kaum davon abhält, rechtliche Grenzen zu ignorieren und unbezahlte Überstunden am Band zu fordern - geschenkt. 

Diese Tatsache dürfte übrigens dazu beigetragen haben, dass Europa immer wieder Maßnahmen ergreift, um Arbeitnehmer zu ihrem Recht zu verhelfen.

Ein Meilenstein war hier schon die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes gegen die Deutsche Bank, die eine Zeiterfassung für alle Arbeitgeber verpflichtend einführte um der Manipulation entgegenzuwirken. 

Neue Reform: Regelung zu Überstunden verpflichtend

In diese Reihe fällt übrigens auch die neuste Vorschrift aus Europa, wonach Arbeitgeber verpflichtet sind, Überstunden im Vertrag zu regeln und auf Nachfrage dem Arbeitnehmer die Regelungen zu erklären.

Das zuletzt von Arbeitgebern viel verfluchte Gesetz bringt im Übrigen auch diverse weitere Regelungen für deutsche Arbeitsverträge (wir berichteten). 

Mehr Überstunden gegen die Wirtschaftskrise? 

Der also rechtlich definitiv nicht umsetzbare Vorschlag des Finanzministers dürfte im Übrigen auch aus wirtschaftlicher Sicht zweifelhafte Erfolge versprechen: wie genau sollen Überstunden, die später abgebummelt, jedenfalls entlohnt werden müssen, irgendwem auf die Sprünge helfen? 

In einer Zeit des Fachkräftemangels, in dem die meisten Arbeitnehmer ohnehin am Limit, mit Überstunden und Urlaubssperre konfrontiert arbeiten - und das ohne bisher eine Anpassung ihrer Vergütung an die Inflation verzeichnen zu können - fragt man sich zudem, wie nah der Minister am tatsächlichen Geschehen in seiner eigenen Gesellschaft vorbei lebt. Das wiederum, seien wir ehrlich, dürfte aber die wenigsten der deutschen Arbeitnehmer ernsthaft überraschen..