Sorgerechtsentzug bei Kindesmissbrauch

Verfassungsbeschwerde von Eltern gegen Entzug des Sorgerechts erfolglos

Sorgerechtsentzug wegen Kindesmissbrauch. Bei einer Rückkehr des Kindes in die Familie sei mit hoher Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zeit mit einer erheblichen Schädigung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes zu rechnen.

Veröffentlicht am: 15.11.2022
Qualifikation: Rechtsanwältin für Erbrecht in Hamburg
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Das Bundesverfassungsgericht hat am vergangenen Freitag einen Beschluss veröffentlicht, in welchem es über eine Verfassungsbeschwerde von Eltern zu entscheiden hatte, die gegen den Sorgerechtsentzug über ihr Kind vorgingen. Schwerwiegende Verletzungen des wenige Monate alten Säuglings hatten den Verdacht von schweren Misshandlungen des Babys aufkommen lassen.

Ärzte informierten Jugendamt nach Oberschenkelbruch

Das erste Mal aufmerksam wurde das Jugendamt auf das verheiratete Elternpaar, nachdem diese ihr Baby durch einen Krankenwagen ins Krankenhaus einliefern lassen hatten. Das Baby hatte einen komplizierten Spinalbruch des Oberschenkels und zudem mehrere Hämatome am Unterschenkel. Der Spinalbruch musste operativ versorgt werden. Die behandelnden Ärzte setzten anschließend das Jugendamt von dem Vorfall in Kenntnis, da die Hämatome an den Unterschenkeln ihrer Ansicht nach auf Griffmarken hinwiesen. Die Familie bekam vom Jugendamt anschließend Hilfe zur Erziehung durch eine Familienhebamme. Das Familiengericht sah vorerst von weiteren Maßnahmen gegen die Eltern des verletzten Babys ab.

Erneute Hinweise auf Misshandlung veranlasste Jugendamt zum Verfahren zum Sorgerechtsentzug

Nur zwei Monate später fielen Ärzten bei der Untersuchung des Säuglings weitere Verletzungen auf, welche den Verdacht verhärteten, dass das Kind möglicherweise misshandelt werde. Es war aufgefallen, dass der Gehirnschädel im Verhältnis zum Gesichtsschädel überproportional vergrößert war. Weitere Untersuchungen ergaben Einlagerungen von Blut im Kopfbereich. Da derartige Befunde gerade bei Säuglingen typische Folgen von einem sogenannten Schütteltrauma seien, informierten die behandelnden Ärzte erneut das Jugendamt. Dieses handelte umgehend und nahm den Säugling zunächst in Obhut. Das Familiengericht entzog beiden Eltern im anschließenden Verfahren das Sorgerecht.

Beschwerde beim Oberlandesgericht blieb erfolglos

Die Eltern legten gegen die Entscheidung des Familiengerichts Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt ein, aber dieses schloss sich dem Amtsgericht an. Es bezog seine Entscheidung insbesondere auf verschiedene Gutachten von sachverständigen Ärzten. Die Ärzte waren zu dem Entschluss gekommen, dass die Art des Oberschenkelbruchs sicher auf eine massive Gewalteinwirkung von außen hindeute. Dass der Bruch etwa durch ein Herunterfallen des Kindes aus dem Arm oder der Wickelkommode entstanden sein kann, wie die Eltern behauptet hatten, sei auszuschließen. Nicht sicher konnte in dem Verfahren die Ursache der Kopfverletzungen festgestellt werden. Zwar seien derartige Verletzungen typisch für sogenannte Schütteltraumata. Nicht auszuschließen sei aber auch ein Sturz auf den Kopf aus mindestens 90 cm Entfernung. Da aber auch in diesem Fall die Eltern verpflichtet gewesen wären, das wenige Monate alte Baby untersuchen zu lassen, entzog das Gericht trotz der letztlichen verbleibenden Zweifel über die Ursache der Kopfverletzung das Sorgerecht.

Bundesverfassungsgericht lehnte Möglichkeit der Verletzung des Elternrechts ab

Die Eltern des Säuglings sahen sich durch diese Entscheidung in ihrem Elternrecht ausArt. 6 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz verletzt und legten beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts ein.

In Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG heißt es: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“

Obwohl sich die Ursache der Kopfverletzung nicht sicher hatte aufklären lassen, sah das Bundesverfassungsgericht nicht einmal die Möglichkeit der Verletzung des Elternrechts der beschwerdeeinlegenden Eltern. Es ließ die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung zu. In seinem Beschluss führte das Bundesverfassungsgericht insbesondere aus, dass das Oberlandesgericht in nicht zu beanstandender Weise zu dem Entschluss gekommen sei, dass es bei einer Rückkehr des Kindes in die Familie mit hoher Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zeit aufgrund eines Erziehungsversagens eines Elternteils oder beider Elternteile zu einer erheblichen Schädigung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes kommen werde.

Entzug des Sorgerechts stärkster Eingriff in Grundrechte der Eltern 

Grundsätzlich stelle der Entzug des Sorgerechts von eigenen Kindern nach dem Bundesverfassungsgericht den stärksten Eingriff in das den Eltern in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG garantierte Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder dar. Eine Trennung von Kindern zu ihren Eltern sei immer nur dann zu rechtfertigen, wenn das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen sei und dürfe nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, müsse das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist. Erforderlich nach dem Bundesverfassungsgericht ist hierfür regelmäßig, dass entweder eine erhebliche Misshandlung des Kindes bereits eingetreten ist oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehe. Da im vorliegenden Fall aber schon innerhalb der ersten drei Monate des Kindes mit großer Wahrscheinlichkeit zwei schwere Misshandlungen stattgefunden hatten, waren sich die mit dem Fall beschäftigten Gerichte einig, trotz der hohen Hürden das Sorgerecht zum Schutze des Kindes zu entziehen.