Getir kauft Gorillas - Zukunft weiter ungewiss
Was Gründer aus dem Startup-Deal in Milliardenhöhe lernen können
Welche Lektionen können GründerInnen von Startups aus der jüngsten Übernahme des Unicorns Gorillas durch Getir ziehen?
Es ist amtlich: Getir übernimmt das deutsche Startup Gorillas für eine Milliardensumme - nach monatelangem Ringen und Mitarbeiterprotesten und trotz allem zu einem weit niedrigeren Preis, als ursprünglich erhofft. Gründer Kağan Sümer ist damit raus und sieht von den etlichen Milliarden kaum etwas. Was können Startup-Gründer aus dem Ende eines der größten deutschen Einhörner lernen?
Niedergang des deutschen Startups für Lebensmittellieferungen
Der steile Aufstieg des Lebensmittellieferanten Gorillas während der Corona-Pandemie in den letzten Jahren ist wohl beispiellos in der deutschen Startup-Szene. Das im Lockdown 2020 in Berlin gegründete Startup erreichte bereits im März 2021 eine Bewertung von einer Milliarde Dollar - noch nie zuvor hatte ein deutsches Startup binnen so kurzer Zeit so an Wert gewonnen. Grund dafür waren sicherlich Beschränkungen des öffentlichen Lebens, Lockdown und Quarantäne-Regelungen der Zeit. Die Investoren überschlugen sich und Gorillas plante eine Übernahme der ganzen Welt - bis nach Australien. Dort sollen Recherchen der ARD zufolge schon Mitarbeiter eingestellt und Warenlager gekauft worden sein.
Doch noch im Herbst 2021 wurden diverse Wachstumspläne auf Eis gelegt - und Investoren blieben aus. Mit dem Ende von COVID gingen die Bestellungen zurück. Der Krieg und die Knappheit von Energie und Ressourcen im Frühjahr verschärfte die Lage weiter. Im Rahmen drastischer Sparmaßnahmen wurde die Hälfte der Belegschaft entlassen und diverse Warenlager weltweit geschlossen.
Denn trotz des enormen Wachstums - bis heute macht Gorillas keine Gewinne, sondern herbe Verluste: 52 Millionen Euro Verlust machte das Startup etwa allein im Januar diesen Jahres. Denn pro Bestellung macht das Unternehmen noch jetzt im Schintt 5,30 EUR Verlust (Quelle für Zahlen: ARD Panorama).
Bewertung des Startups im Keller - Kaufpreis gedrückt
Die hohen monatlichen Verluste des Unternehmens waren es auch, die sich stark negativ auf die aktuelle Bewertung des Startups auswirkten und schlussendlich den Preis im Übernahmevertrag drückten.
Mit einer Bewertung von knapp einer Milliarde Euro im Rahmen des Deals hat das Startup in den letzten Monaten erheblich an Wert verloren - noch Ende 2021 war Gorillas auf einen Wert von ca. 3 Milliarden Euro geschätzt worden. Aber auch Getir geht aus der Fusion nicht unbedingt als Sieger hervor: Auch ihre Bewertung sank im Rahmen der letzten Monate um mehrere Milliarden Euro. Getir ist derzeit weltweit das beherrschende Unternehmen in der Lieferung von Lebensmitteln. Nach der Fusion mit Gorillas wird der Gesamtwert von Getir auf 10 Milliarden Euro geschätzt, wovon die Anteile Gorillas ca. 10% ausmachen.
Übernahmevertrag: Getir kauft Gorillas
Dadurch erreicht Getir durch denkbar geringe Investitionen auf einen Schlag die marktbeherrschende Stellung in Deutschland: Denn nur ca. 100 Millionen Euro kostet der Deal das türkische Unternehmen.Denn die Gesellschafter und Investoren von Gorillas erhalten in erster Linie für ihre Anteile an Gorillas nun Anteile an Getir.
Nur einige erhielten zudem eine Cash-Komponente von rund 40 Millionen Dollar. Darüber hinaus erhält auch das bisherige Management einen Bonus von rund 10 Millionen Euro, wobei der Hauptteil wohl an den Gründer Sümer geht. Der ist nach der Übernahme als Gesellschafter und Geschäftsführer des Unternehmens allerdings "raus".
Zahlreiche Kündigungen zu erwarten
Nach der Übernahme durch Getir ist in dem Startup mit erheblichen Sparmaßnahmen zu rechnen, darunter vor allem Entlassungen von Mitarbeitern. Denn mindestens die Hälfte der Standorte von Getir und Gorillas sollen sich überschneiden und sollen deswegen geschlossen werden
Zuletzt hatten Mitarbeiter von Gorillas immer wieder gegen die bestehenden Arbeitsbedingungen und ihre Bezahlung protestiert und dem Ansehen des Startups in der Öffentlichkeit erheblich geschadet. Auch Getir ist dafür bekannt, mit deinem Personal nicht "zimperlich" umzugehen. Von ihren weltweit rund 32.000 Mitarbeitern entließ das Unternehmen in diesem Jahr ebenfalls rund 14%. An die Voraussetzungen des deutschen Arbeitsrechts wird sich der Konzern in Bezug auf deutsche ArbeitnehmerInnen aber auch nach der Übernahme von Gorillas halten müssen.
Welche Lektionen für Gründer von Startups?
Nach der Gründung gilt bei Start-ups oft die Devise: Wachstum um jeden Preis. Die übereilten Expansionspläne von Gorillas aber zeigen: Ob ein Geschäftsmodell überhaupt funktionieren kann, muss für den langfristigen Erhalt des Unternehmens relevant sein - auch wenn das in der Venture Capital Welt manchmal vergessen wird. Spätestens in der zweiten oder dritten Finanzierungsrunde werden Investoren nach realistischen Geschäftsmodellen fragen. Im Fall von Gorillas ist das, zweieinhalb Jahre nach Gründung, weiter offen. Der aktuelle Wert des Startups liegt sogar unter den bereits in das Unternehmen geflossenen Investitionssummen.
Der Fall Gorillas zeigt aber auch: Unternehmensbewertung bei Startups ist Key! Gründer müssen Finanzexperten mit Erfahrungen in diesem Bereich an ihrer Seite haben, um die Bewertung ihres Unternehmens möglichst in die Höhe zu treiben und Verhandlungen zu begleiten. Bei den Verhandlungen im Fall Gorillas spielte wohl auch ein Term Sheet vom Konkurrenten Delivery Hero eine entscheidende Rolle, das noch vor dem Platzen des Hypes um den Essenslieferanten stammte.