Vesting-Regelung vs. Hinauskündigungsverbot
KG Berlin setzt neue Akzente bei Startups & Scaleups
Die deutsche Startup-Welt atmet auf. Das Kammergericht Berlin zeigt sich bezüglich der international genutzten Vesting-Systeme, die sich in den klassischen Shareholder Agreements und Beteiligungsverträgen finden, offen.
Vesting-Vereinbarungen sind ein gängiges Instrument in Beteiligungsverträgen von Startups und Scaleups. Sie legen fest, dass Geschäftsanteile eines Gründungsgesellschafters und früh eintretenden Gesellschafters entzogen werden, wenn bestimmte Bedingungen eintreten, beispielsweise beim vorzeitigen Ausstieg des Gesellschafters. Durch Vesting-Regelungen werden Anteile als vollständig oder zum Teil verfallbar gestellt. Diese Regelungssysteme stellen klar, dass Anteile über einen definierten Zeitraum nach und nach erworben (also „gevested“) werden. Im Vorfeld des vereinbarten Zeitraums können sie also verfallen.
Das Vesting dient Investoren zum Schutz des Investments und soll sicherstellen, dass Gründer und andere Gesellschafter sich langfristig im Unternehmen engagieren. Vesting-Systeme enthalten typischerweise Cliff-Perioden, die mit Leaver/Bad Leaver-Mechanismen kombiniert werden, um Incentivierungsstrukturen in den Jungunternehmen zu schaffen.
KG Berlin: Beschluss zu Vesting & Hinauskündigung
In seinem Hinweisbeschluss vom 12.08.2024 nimmt das Kammergericht (KG) Berlin (Aktenzeichen 2 U94/21) Stellung zum Hinauskündigungsverbot des Bundesgerichtshofs (BGH). Konkret ging es um sogenannte Vesting-Regelungen, die in Startups regelmäßig eingesetzt werden. Das Vesting kann dazu führen, dass einem Gesellschafter die Beteiligung weggenommen wird, er also hinausgekündigt wird.
Während der BGH in seiner bisherigen Rechtsprechung von einem Hinauskündigungsverbot ausgeht und nur unter engen Voraussetzungen eine Hinauskündigung von Gesellschaftern erlaubt, schafft das KG einen neuen Spielraum für Vesting-Sachverhalte. Die neue Entscheidung des KG Berlin führt zu einer kritischen Diskussion, ob und inwiefern diese Vesting-Vereinbarungen mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht und der BGH-Doktrin des Verbots der Hinauskündigung vereinbar sind.
Vesting-Sachverhalt der KG Berlin-Entscheidung
Der Fall vor dem KG betraf eine typische Konstellation in Startups: Ein Gründer, der mit zwei weiteren Mitgesellschaftern über eine Beteiligungsgesellschaft am Start-up beteiligt war, hat nach der Gründung einen Beteiligungsvertrag geschlossen. Im Beteiligungsvertrag haben die Gründer eine Vesting-Regelung in der Weise vereinbart, dass für den Fall der Beendigung ihrer Tätigkeit wechselseitige Kauf- und Verkaufsangebote gemacht werden.
Der klagende Gründer ist nun aus persönlichen und beruflichen Gründen aus dem Unternehmen ausgeschieden. Gemäß der ihn bindenden Vesting-Regelung wurde ihm nach der Niederlegung seiner Tätigkeit die Beteiligung entzogen. Der Gründer wehrte sich gegen die Vesting-Regelung und argumentierte, dass die Mitgesellschafter mit dem Anteilsentzug gegen ihre Treuepflicht verstoßen.
Rechtliche Argumentation des KG Berlin
Das KG Berlin erkannte die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Vesting-Klauseln an, unterstrich jedoch, dass diese einer strengen Inhaltskontrolle unterliegen. Das Gericht argumentierte, dass das vom BGH postulierte Hinauskündigungsverbot nicht absolut sei und in bestimmten sachlich gerechtfertigten Fällen nicht gelte.
Die zentrale Argumentation des KG Berlin für die Zulässigkeit des Vestings und die Nichtanwendung eines Hinauskündigungsverbots beruhen darauf, dass in dem Startup Investoren, die dem Unternehmen ein Investment in Millionenhöhe zur Verfügung stellen, ein praktisches Bedürfnis an einer zeitlich limitierten Vesting-Regelung haben. Die Investoren sind darauf angewiesen, dass die Gründer sich über eine gewisse Zeit engagieren und ihr Know How einbringen. Die Vesting-Regelung diene nicht primär der Sanktionierung des betroffenen Gründers, sondern der Sicherung der Unternehmensstabilität – so die Linie des KG Berlin.
Würdigung der Vesting-Entscheidung
Die Bedeutung von Vesting-Systemen liegt darin, die Interessen des Unternehmens und der verbleibenden Gesellschafter zu schützen. Sie stellen sicher, dass jeder Gründer oder Gesellschafter aktiv zur Wertsteigerung des Unternehmens beiträgt. Gleichzeitig minimiert Vesting das Risiko, dass ein Mitgesellschafter seine Beteiligung behält, ohne weiterhin einen Beitrag zu leisten. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis sind diese Regelungen allgemein anerkannt.
Die Entscheidung des KG Berlin wirft wichtige Fragen zur Flexibilität gesellschaftsrechtlicher Regeln in Deutschland auf. Während die KG Berlin-Entscheidung Startups eine größere Freiheit bei der Gestaltung ihrer Gesellschafts- und Beteiligungsverträge einräumt, besteht die Gefahr, dass Schutzmechanismen für Gründer und insbesondere Minderheitsgesellschafter unterlaufen werden. Es ist schwer zu beurteilen, ob der entschiedene Fall tatsächlich der höchstgerichtlichen Rechtsprechung des BGH standhält.
Der BGH wird künftig entscheiden müssen, ob und inwieweit derartige Regelungen mit seinen Grundsätzen des Hinauskündigungsverbots und der Treuepflicht vereinbar sind. Insbesondere stellt sich die Frage, inwieweit Bad Leaver-Regeln und überhaupt unfaire finanzielle Kompensationen für den Verlust der Beteiligung bei der Beurteilung der Rechtswirksamkeit des Anteilsentzugs zu beachten sind. Eine klarere Leitlinie seitens des BGH wäre wünschenswert, um sowohl den Bedürfnissen moderner Unternehmensfinanzierungen als auch dem Schutz einzelner Gesellschafter gerecht zu werden. Die Diskussion zeigt deutlich, dass der Trend zur Flexibilität von Beteiligungsgestaltungen in einem Spannungsverhältnis zu etablierten Schutzvorschriften steht.