Die Ehe schafft sich ab?
Alle drei Minuten lässt sich ein Paar scheiden
Weiter hohe Scheidungszahlen in Berlin und anderen Metropolen, immer mehr Scheidungsanwälte gefragt.
Ein Gastbeitrag von Fiona Schönbohm
Laut Statistischem Bundesamt sinkt die Scheidungsrate in Deutschland – wer hätte das gedacht! Das ändert jedoch nichts daran, dass vor allem in den großen Städten und Stadtstaaten „bis dass der Tod uns scheidet“ irgendwie aus der Mode gekommen ist. Dafür sind ja letztes Jahr die Schlaghosen zurückgekommen. Man muss eben auch Kompromisse machen im Leben.
Scheidungsfreudige deutsche Metropolen
In Berlin etwa kamen letztes Jahr 108 Scheidungen auf 10.000 Ehen, damit belegt das Bundesland Platz Zwei im Vergleich der Bundesstaaten. Mehr Scheidungen gab es nur in Bremen (110 Scheidungen). Ob das an der Mentalität der Hanseaten liegt, mag dahinstehen. Hamburg belegt übrigens Platz 4 (99). Da können die Flächenländer nicht mithalten.
Weihnachtslieder wichtiger als das Eheversprechen?
Die Rückkehr des deutschen Biedermeiertums hätte doch eigentlich einen anderen Schluss nahegelegt. Die Bevölkerung legt wieder so viel Wert auf das Singen deutscher Weihnachtslieder, dass daraus eine rechtspopulistische Partei geboren werden konnte. Wir kaufen ökologisch angebautes Gemüse, stricken wieder unsere eigenen Wollmützen, kaum jemand raucht noch, stattdessen laufen wir vor der Arbeit um die Alster. Dazu passt die grundsätzlich sinkende Scheidungsrate deutschlandweit: mit 163.335 Scheidungen etwa 3.000 Scheidungen weniger als im Vorjahr. Warum aber ist die Ehe gerade in den Metropolen out?
Ein Fest für Fachanwälte des Familienrechts
Die einvernehmliche Trennung bildet dabei weiterhin die Ausnahme – in nur 8% der Fälle reichen die Ehepartner die Scheidung gemeinsam ein. In allen anderen Ausgangssituationen kann wohl die Rolle eines guten Scheidungsanwalts kaum unterschätzt werden.
Das bedeutet: mehr Fachanwälte für Scheidungs- und Familienrecht. Sie bilden die zweitgrößte Fachanwaltsgruppe unter den Rechtsanwälten in Deutschland (mehr Fachanwälte gibt es nur im Arbeitsrecht – ein Schmunzeln an dieser Stelle über das Klischee der „deutschen Werte“ ist erlaubt). Die Anzahl der Anwälte für Familienrecht ist nach Aussage der Bundesrechtsanwaltskammer inzwischen auf fast 10.000 Fachanwälte angestiegen. Knapp 10% davon praktizieren allein in München, wo auf 10.000 Einwohner jährlich 30 Scheidungen entfallen.
Die Top Scheidungsgründe
Fragt man nach, warum einer denn plötzlich „raus“ wollte, sind die Gründe erschreckend banal. Man habe sich das nicht so genau überlegt, hört man dann, hatte ursprünglich nur Steuern sparen wollen. Andere hätten sich verändert, „auseinander entwickelt“ wie man so schön sagt. Andere stören sich an ständiger Besserwisserei oder unangenehmen Alltagsgewohnheiten.
Häufig verliebt sich ein Partner neu – ob dies aber Ursache oder Folge von Eheproblemen ist, sei mal dahingestellt. Hat die Ehe also so wenig Wert, dass Menschen sich scheiden lassen, weil sie sich „auseinander entwickelt“ haben (denn seien wir ehrlich, das ist doch ganz normal, dass man sich im Leben mal näher und mal weniger nah steht)? Oder ist einfach das Institut überholt?
Mit der Ehe in die Zukunft
Vielleicht ist die Ehe einfach nicht ausgelegt für zwei berufstätige selbstständige Partner oder emanzipierte Frauen, für die Schnelllebigkeit unserer modernen Welt und ihre ständige Veränderung, für Menschen, die über neunzig Jahre alt werden oder solche, die mit Ende Zwanzig noch nicht wissen, wer sie sind. Vielleicht ist die Idee einfach unrealistisch, in einer Welt wie der unseren könne ein einziger Mensch für den Rest unseres Lebens alles sein, was wir jemals wollen werden.
Unterstützung würde diese Theorie jedenfalls auch in der Statistik finden: Schlusslichter bei der Scheidungsrate sind Sachsen (79 pro 10.000 Ehen) und Mecklenburg-Vorpommern (73). Leuchtet ein. Dort, wo das Leben nicht schnell und die Welt nicht modern ist, hat die Ehe noch größere Chancen. Wenn Sie sichergehen wollen, dass ihre Partnerschaft hält, ziehen sie am besten nach Offenbach am Main. Dort kommen auf 10.000 Einwohner nur 9 Scheidungen.