Letzter Ausweg: fristlose Kündigung des Gewerbemietvertrags
Darf Gewerbemieter bei grobem Fehlverhalten des Vermieters kündigen?
Der „normale“ Gewerbemietrechtsstreit dreht sich um ein Fehlverhalten des Mieters, welches der Vermieter abmahnt und dann nutzt, um aus wichtigem Grund den Gewerbemietvertrag zu kündigen. Der Mieter sieht sich dann einer Räumungsklage und Schadenersatzansprüchen (insbesondere Mietausfallschaden) ausgesetzt – ein Szenario, das schnell existenzbedrohend werden kann.
Eher untypisch ist es, wenn der Mieter selbst aus wichtigem Grund kündigt. Das knappe Flächenangebot in Ballungsräumen lässt den Gewerbemieter so manches Fehlverhalten des Vermieters schlucken.
Kürzlich korrigierte der Bundesgerichtshof (BGH,Urteil vom 06.10.2021 - XII ZR 11/20) eine Entscheidung des Berliner Kammergerichts und winkte eine Kündigung des Mieters aus wichtigem Grund durch. Die Entscheidung bietet wertvolles Argumentationsmaterial für den geschädigten Mieter.
Außerordentliche Kündigung des Gewerbemietvertrags - wann darf der Mieter das?
Jeder darf sich vorzeitig von einem Vertrag lösen, der für ihn unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien und insbesondere auch eines Fehlverhaltens des Vertragsgegners objektiv unzumutbar ist.
Abmahnung (fast) immer erforderlich
Eine außerordentliche Kündigung ist grundsätzlich immer nur nach vorheriger erfolgloser Abmahnung zulässig. Dies gilt für den Mieter dann nicht, wenn eine Frist oder Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht, oder die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist (vergleiche § 540 Abs. 3 BGB).
Die Abmahnung muss grundsätzlich nicht schriftlich erfolgen. Auch eine mündliche Abmahnung ist denkbar. Aus Beweissicherungsgesichtspunkten ist aber eine schriftliche Abmahnung, idealerweise zugestellt durch den Gerichtsvollzieher, der empfehlenswerte Weg.
Risiken und Nebenwirkungen der Kündigung im Gewerbemietrecht
Stellt ein Gericht fest, dass die Kündigung unwirksam war, macht sich der Mieter schadenersatzpflichtig. Der Vermieter kann nicht gezahlte Miete und den sogenannten Kündigungsfolgeschaden verlangen. Das kann schnell zu existenzbedrohenden Forderungen führen.
BGH: Infolge vorsätzlich falscher Betriebskostenabrechnung außerordentliche Kündigung des Gewerbemietvertrags möglich
Der Mieter eines Ladenlokals in einem Einkaufszentrum begründete eine Kündigung aus wichtigem Grund mit falschen Betriebskostenabrechnungen durch den Vermieter. Dieser hatte die Möblierung des Food-Courts und die Kosten für eine Brandwache im Einkaufszentrum auf den Mieter umgelegt.
Der BGH hat die Kündigung aufgrund der unrichtigen Betriebskostenabrechnung aus wichtigem Grund durchgewunken. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Unredlichkeiten des Vermieters bei der Abrechnung der Betriebskosten, wie etwa eine vorsätzlich falsche Abrechnung, können eine außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertigen, wenn der Vermieter dadurch seine Pflichten so sehr verletzt, dass dem Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann.
Bei irrtümlicher Falschabrechnung keine außerordentliche Kündigung des Gewerbemietvertrags
Zwar sei nicht jede falsche Betriebskostenabrechnung ein Grund für eine außerordentliche Kündigung, schließlich könne es sich durchaus um ein Versehen oder einen rechtlichen Irrtum des Vermieters handeln. Dann sei es auch nicht unzumutbar, den Mietvertrag aufrechtzuerhalten.
Außerordentliche Kündigung bei Täuschungs- und Schädigungsabsicht des Vermieters
Anders liege der Fall aber, wenn der Vermieter trotz Gegendarstellung des Mieters an seiner fehlerhaften Abrechnung in nicht mehr vertretbarer Weise beharre. Bestand darüber hinaus sogar eine festgestellte Täuschungs- und Schädigungsabsicht des Vermieters bereits zum Kündigungszeitpunkt, stellt dies einen besonderen Grund dar, der die sofortige Kündigung rechtfertigt. Diese inneren Tatsachen seien im vorliegenden Fall der wahrheitswidrige Vortrag, die Kosten für Bestuhlung und Tische auf dem Food-Court des Einkaufszentrums seien nicht doppelt abgerechnet worden.
Nicht zu ignorieren: das Damoklesschwert Kündigungsfolgeschaden
Die Entscheidung sollte für Vermieter ein Warnsignal dafür sein, es bei der Durchsetzung ihrer Interessen nicht zu übertreiben. Hier hatte der Vermieter noch im laufenden Zivilprozess wahrheitswidrig vorgetragen. Im worst case kann solches Verhalten dann neben dem Zivilverfahren im Gewerbemietrecht noch zu einem Strafverfahren, möglicherweise auch gegen den Prozessvertreter des Vermieters, führen.
Aus Mietersicht gibt die Entscheidung Argumentationsmaterial für Auseinandersetzungen mit dem Vermieter und kann bei Fehlverhalten des Vermieters (und natürlich zur Verfügung stehenden Ausweichmietflächen) die Verhandlungsposition stärken. Weiterhin sollte aber, angesichts des Damoklesschwertes des Kündigungsfolgeschadens, eine Kündigung aus wichtigem Grund nur nach gründlicher rechtlicher Prüfung und im Zweifel nur nach fruchtlosem Versand einer Abmahnung erfolgen.