Zuspitzung im Fall Böhmermann
Verurteilung vor dem Internationalen Strafgerichtshof droht
Verurteilung vor dem Internationalen Strafgerichtshof droht
Ein „schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nennt der türkische Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus das Schmähgedicht von Jan Böhmermann über Recep Tayyip Erdogan. Daher muss nun sogar der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag gegen den ZDF-Satiriker ermitteln.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterliegen nämlich wie Völkermord und Angriffskrieg nicht nur den nationalen Gerichtsbarkeiten. Gedicht ist Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Gedicht ist Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Bei seiner rechtlichen Einschätzung stützt sich Kurtulmus offenbar auf revolutionäre Erkenntnisse türkischer Juristen. Diese sehen im Schmähgedicht eine Handlung im Zuge eines systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung, und damit ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Völkerstrafrechts.
Dass Böhmermann mit seiner Satire die Absicht hatte, die gesamte Zivilbevölkerung des EU-Beitrittskandidaten Türkei in eine kollektive Depression zu stürzen dürfte feststehen. Einzelheiten zu den Beweggründen des ZDF-Moderators könnten im Rahmen einer mehrtätigen Befragung in einer ostanatolischen Polizeistation ermittelt werden, bevor die Überführung in die Niederlande erfolgt.
Prozess in Den Haag wird kein Selbstläufer
Ein Selbstläufer wird die Anklage und Verurteilung von Böhmermann in Den Haag wohl dennoch nicht. Als Problem könnte sich erweisen, dass nicht jede Handlung im Rahmen eines systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt.
In den Statuten des ICC findet sich hierzu ein Katalog mit Straftaten wie Tötung, Ausrottung, Versklavung, Folter etc. Satire findet in dieser Aufzählung von Verbrechen allerdings keine ausdrückliche Erwähnung.
Satire bei den Nürnberger Prozessen noch straflos
Diese Panne könnte in der Entstehungsgeschichte des Völkerstrafrechts ihre Ursache haben. Erstmals normiert und verfolgt wurden Völkermord, Angriffskrieg und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem zweiten Weltkrieg, um bei den Nürnberger Prozessen die Protagonisten der Nazi-Diktatur zur Rechenschaft zu ziehen.
Mitten in den Kriegs- und Nachkriegswirren musste im zerbombten Europa also auf die Schnelle ein Völkerstrafrecht aus dem Boden gestampft werden. Es verwundert daher nicht, dass einzelne Verbrechen wie z.B. Satire versehentlich nicht ausdrücklich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit normiert wurden.
Reform des Völkerstrafrechts überfällig
Schlimm, dass dieser Fehler bis heute nicht korrigiert und noch nicht einmal diskutiert wurde, bis die Türkei das Thema nun auf den Tisch brachte. Die Rechtsauffassung der Türken dürfte schon deshalb Gewicht haben, weil diese (seit der tödlichen Wüstenwanderung der Armenier) genau wie auch wir Deutsche als ausgewiesene Experten für Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten.
Es ist zu wünschen, dass im Rahmen des Böhmermann-Prozesses in Den Haag die Möglichkeit genutzt wird, das Völkerstrafrecht endlich zu modernisieren. Gerade im Zeitalter des Internets, wo Despoten und Kriegsverbrecher ständig und überall von medialer Meinungsfreiheit bedroht sind, dürfen Satiriker nicht länger ungestraft ihr Unwesen treiben.