Waffengleichheit vor Zivilgerichten

Einstweilige Verfügungen ohne mündliche Verhandlung?

In vielen Situationen ist eine schnelle richterliche Entscheidung geboten, um Rechtsverstöße zu verhindern. Ein klassisches Klageverfahren kann aber Jahre dauern. Durch einstweilige Verfügungen können jedoch im Eilverfahren Entscheidungen erwirkt werden – in ganz eiligen Fällen sogar ohne mündliche Verhandlung.

Veröffentlicht am: 16.04.2024
Qualifikation: Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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Ein Zivilprozessverfahren kann bekanntlich lange dauern – sehr lange. Der Kläger muss zunächst Kosten beim Gericht einzahlen, dann wird eine Klageschrift erstellt und zugestellt. Der Beklagte erhält viele Wochen Zeit, um auf die Klage zu reagieren. Verhandlungstermine und gegebenenfalls Beweisaufnahmen nehmen nochmals Monate in Anspruch.

In dieser Zeit läuft der Kläger Gefahr, seine ihm zustehenden Rechte und Rechtsschutz zu verlieren. So zum Beispiel, wenn ein Klatschblatt Unwahrheiten verbreiten will oder im Wirtschaftsrecht, auf der Grundlage von unwahren Tatsachen ein Gesellschafter oder Geschäftsführer aus einem Unternehmen ausgeschlossen werden soll.

In solchen eiligen Situationen bietet das Gesetz die Möglichkeit des Eilverfahrens. Durch eine einstweilige Verfügung lassen sich sehr schnell Rechtspositionen, denen ein Angriff droht, schützen.

Bundesverfassungsgericht und die Waffengleichheit

In einstweiligen Verfügungsverfahren kommt es aber wegen der Eilbedürftigkeit schnell dazu, dass Gerichte überziehen und ohne eine mündliche Verhandlung entscheiden und somit die prozessuale Waffengleichheit der Parteien verletzen. Der Partei, gegen die eine einstweilige Verfügung erlassen wurde, wird kein oder zu wenig Raum eingeräumt, um ihre Sichtweise darzustellen.

In der Rechtsprechung ist der Grundsatz der Waffengleichheit ein Eckpfeiler des fairen Prozessverfahrens. Dies gilt auch und insbesondere im Rahmen von Eilverfahren, wie einstweilige Verfügungsverfahren. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wirft ein Schlaglicht auf die Bedeutung der Waffengleichheit und die Anforderungen an Gerichte, wenn es um den Erlass einstweiliger Verfügungen geht.

Bundesverfassungsgericht vs. Landgericht Hamburg    

In einem viel beachteten Fall, in dem die Bildzeitung vom Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung kassiert hat, wehrt sich der Springerkonzern vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Das BVerfG kritisierte das Landgericht Hamburg für das Übergehen der prozessualen Waffengleichheit (Beschl. v. 12. März 2024, Az. 1 BvR 605/24). Die Kritik konzentriert sich darauf, dass das Landgericht in bestimmten Fällen ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ohne dies ausreichend zu begründen. Das BVerfG unterstreicht, dass zwar die Natur des Presserechts oftmals eine schnelle Handlung erfordert, insbesondere wenn es um die Abwehr rechtswidriger Berichterstattung geht, doch dies entbindet die Gerichte nicht von der Pflicht, ihre Entscheidungen wohl zu begründen.

Das BVerfG bekräftigt, dass in den Fällen, in denen von einer mündlichen Verhandlung abgesehen wird, die Gründe dafür im Einzelnen dargelegt werden müssen. Ein genereller Verzicht auf mündliche Verhandlungen, selbst in Eilverfahren, wäre nicht im Einklang mit dem Gebot der Waffengleichheit. Diese Forderung nach Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Gerichtsentscheidungen steht im Dienste des Rechtsschutzes der Parteien und stärkt das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit.

Einschätzung der Prozessrechtsanwälte

Gerichte sind grundsätzlich verpflichtet, mündliche Verhandlungen durchzuführen. Wenn dies in Einzelfällen wegen der Dringlichkeit nicht möglich ist, sind sie angehalten, in ihren Beschlüssen konkret zu begründen, warum eine mündliche Verhandlung nicht stattfindet. Pauschale Begründungen wie die "besondere Dringlichkeit" der Sache sind nicht ausreichend. Stattdessen muss dargelegt werden, warum im spezifischen Fall die Dringlichkeit so groß ist, dass sie eine mündliche Verhandlung ausschließt.

Das BVerfG betont die Notwendigkeit einer sorgfältigen und individuellen Prüfung jeder einstweiligen Verfügung. Sie stärkt die Rechtsposition der Betroffenen, indem sie sicherstellt, dass ihre Rechte im Eilrechtsschutz nicht übergangen werden. Sonst kommt es insbesondere im Unternehmensrecht zu Situationen, in denen willkürlich Gesellschafterausschlüsse oder falsche Berichterstattungen stattfinden können. Für die Praxis bedeutet dies, dass die Anwälte auch um die prozessualen Rechte ihrer Mandanten kämpfen müssen. Dies gilt insbesondere in turbulenten und oftmals hektischen Situationen. Jeder sollte sich vergegenwärtigen, dass auch die Gerichte im Instanzenzug nicht immer den Schutz der Prozessrechte gewährleisten.

Diese jüngste Rechtsprechung spiegelt die fortlaufende Bedeutung der Waffengleichheit im deutschen Rechtssystem wider und mahnt alle Gerichte zur Achtsamkeit in der Wahrung dieses Grundprinzips. Sie dient als wichtige Erinnerung daran, dass selbst unter dem Druck der Schnelllebigkeit medialer Streitigkeiten die Grundsätze der Fairness und Gleichbehandlung im Verfahren nicht außer Acht gelassen werden dürfen.