MUST HAVE? Prozessfinanzierung in der Corporate Litigation

Haftungsfalle für Geschäftsführer, Vorstand, Aufsichtsrat

Die Situation ist bekannt: Man hat einen Anspruch gegen XYZ, den man gerichtlich durchsetzen möchte. Doch irgendwo gibt es Risiken und die Sache kostet auch noch Liquidität. Und dann erinnert man sich noch an den Spruch „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“. Welche Lösung es in diesem Dilemma gibt, lesen Sie hier.

Veröffentlicht am: 10.09.2024
Qualifikation: Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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Gerichtliche Prozesse im Gesellschaftsrecht sind gekennzeichnet von einem hohen, oft exorbitant hohen Kosteneinsatz. Die Einschaltung spezialisierter Fachanwälte hat ihren Preis. Gerichtsverfahren im Gesellschaftsrecht sind aber auch geprägt von hohen Risiken. Denn die Praxis ist nicht schwarz und weiß, sondern meist grau. Die rechtliche Einordnung eines Verhaltens von Geschäftsführern, Vorständen und Mitgesellschaftern als Fehlverhalten ist oft schwierig. Da es um viel geht (und Gerichte scheinbar immer langsamer arbeiten), ist auch die Zeit ein großer Faktor. Gerichtsverfahren in der Corporate Litigation dauern meist viele, viele Jahre…

Was tun, fragen sich diejenigen, die für die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen verantwortlich sind. Nichtstun ist jedenfalls eine schlechte Lösung – außer man nimmt die eigene Haftung in Kauf. Um diese zu vermeiden, sollte immer eine Prozessfinanzierung in Betracht gezogen werden.

Prozessfinanzierung - Versicherung von Prozessrisiken

Das Grundprinzip der Prozessfinanzierung ist einfach: Der Prozessfinanzierer übernimmt auf der Grundlage eines „Prozessfinanzierungsvertrages“ die Kosten des gerichtlichen Verfahrens für den Kläger: Anwaltsvergütung, Gerichtskosten sowie Sachverständigen- und Zeugengelder. Finanziert werden unter Umständen ferner auch Maßnahmen der Zwangsvollstreckung. Geht der Streit vor Gericht später verloren oder wird dem Kläger kein die Kosten deckender Betrag zugesprochen, trifft das den Prozessfinanzierer. Der Kläger muss sich an Fehlbeträgen nicht beteiligen. Wird der Streit hingegen gewonnen, wird der Erlös zwischen dem Prozessfinanzierer und dem Kläger gemäß dem vorab vereinbarten Schlüssels aufgeteilt.

In der Vergangenheit finanzierten die Prozessfinanzierer vor allem nur die aktive Verfolgung und Durchsetzung von Ansprüchen. Zunehmend finanzieren Prozessfinanzierer jedoch auch die Abwehr von Klagen. Im Falle einer erfolgreichen Rechtsverteidigung erfolgt die Vergütung des Prozessfinanzierers mit einem Anteil der tatsächlichen Einsparung gegenüber der Forderung des Gegners.

Die Ausgestaltung der Prozessfinanzierung ist mithin sehr variabel. Möchte sich der Kläger umfassend gegen die Kostenrisiken aus dem Prozess absichern (Vollfinanzierung), so wird der Prozessfinanzierer eine hohe Beteiligung am „Erlös“ des Verfahrens fordern. Denkbar sind indes auch Modelle, bei denen der Prozessfinanzierer sich nur in Teilen an den Kosten beteiligt (Teilfinanzierung) und mithin auch nur einen (geringeren) Teil des „Erlöses“ erhält.

Im Grundsatz sind die finanziellen Eckpunkte des Finanzierungsvertrages frei verhandelbar. In der Fachliteratur wird eine Quote von 1/3 der ersten 500.000 EUR und 20 % vom weiteren Erlös als „Standard-Vergütung“ für den Prozessfinanzierer bezeichnet. 

Prozessfinanzierung von Klagen gegen Geschäftsführer, Vorstand und Aufsichtsrat

Steht ein Fehlverhalten von aktuellen oder ehemaligen Geschäftsführern, Vorständen oder Aufsichtsräten im Raum, sind die verantwortlichen Personen – also Geschäftsführer, Vorstände oder Aufsichtsräte – verpflichtet, diesen Ansprüchen nachzugehen. Ergibt die rechtliche Prüfung, dass eine Pflichtverletzung und ein damit einhergehender Schaden vorliegen, besteht im Grundsatz auch die Verpflichtung, die betroffenen Personen in Haftung zu nehmen, im Zweifel auch vor Gericht.

Die Praxis zeigt indes, dass die Umstände, die zu einer Haftung von Geschäftsführern, Vorständen und Aufsichtsräten führen, oft unklar und zweifelhaft sind. Dazu kommt, dass diese unklaren und zweifelhaften Umstände vor Gericht bewiesen werden müssen – dies führt zu weiteren Unklarheiten und Zweifeln.

Inwiefern in dieser Situation eine (rechtliche) Verpflichtung besteht, auch eine Prozessfinanzierung bzw. Prozessrisikoversicherung einzugehen, in Erwägung zu ziehen und eine Anfrage an entsprechende Anbieter zu stellen, ist soweit ersichtlich gerichtlich noch nicht entschieden. Es braucht allerdings nicht viel Fantasie dafür, dass eine entsprechende Pflicht besteht. Die verantwortlichen Personen sind schlichtweg gehalten, alle Optionen einer Durchsetzung von Ansprüchen der Gesellschaft zu verfolgen. Und die Prozessfinanzierung ist grundsätzlich immer eine Option.

Vorschnell sollte diese Option aber nicht gezogen werden. Im Erfolgsfall der finanzierten Klage wird der Prozessfinanzierer am Klageerlös beteiligt – die Gesellschaft verliert insofern Vermögen…

Prozessfinanzierung im Gesellschafterstreit

Weniger das Pflichtengefüge von Geschäftsleitern, sondern vielmehr jenes von Gesellschaftern steht im Fokus von Streitigkeiten im Gesellschafterkreis. Auch hier dringt die Prozessfinanzierung immer mehr in den Fokus. So bestehen bei der Durchsetzung von Abfindungsansprüchen („Klage auf Abfindung“) oder bei der Durchsetzung von Wettbewerbsverboten hohe Prozessrisiken. Nicht selten führt hier die Höhe der involvierten Werte zu einer gewissen Apathie bei Gesellschaft und Gesellschaftern. Diese kann mit Hilfe einer Prozessfinanzierung eingefangen werden.

Prozessrisikoversicherung – neuer Trend in der Corporate Litigation World

Die Welt der „Versicherung“ von Prozessrisiken insbesondere bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten mag hierzulande noch klein sein. Es sei indes die nicht kühne Prognose gestattet, dass die Finanzierung von Klagen gegen Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte einen Boom erleben wird. Auch die Finanzierung von Klagen im Gesellschafterstreit wird ihr Nischendasein beenden. Insbesondere die Klage auf Abfindung von Gesellschaftern bei Ausschluss und Kündigung erscheint für die Prozessfinanzierer ein lukrativer Markt. Die Prozessfinanzierung, die zugleich eine Prozessrisikoversicherung (Litigation Risk Insurance – LRI) ist, wird ihren Siegeszug fortsetzen. Sie sollte von Geschäftsführern, Vorständen und Aufsichtsräten sowohl bei Klagen als auch bei der Abwehr von Klagen erwogen werden. Ob dann letztlich eine Finanzierung erfolgt, steht auf einem anderen Blatt.