Die Grenzen des Vermächtnisses in Frankreich
Wenn Todkranke zugunsten von Krankenschwestern testieren
Wenn Todkranke zugunsten von Krankenschwestern testieren
Ein Beitrag von Dr. Cecile Walzer, Rechtsanwältin für französisches Erbrecht
Mit einem Vermächtnis kann der Erblasser einzelne Gegenstände seines Vermögens einer Person zuwenden, ohne dass diese dabei Erbin wird. Vielmehr erwirbt die bedachte Person einen Anspruch gegen den Erben auf Überlassung und Übereignung des im Testament genannten Gegenstandes. Insoweit entspricht das französische Erbrecht den deutschen Regelungen.
Zum Schutz der Erblasser hat die Cour de cassation als höchstes Gericht in Frankreich in ihrem Urteil vom 16. September 2020 dem Erblasser eine deutliche Grenze gesetzt:
Eine Krankenschwester die den Erblasser während seiner totbringenden Krankheit gepflegt hatte, darf danach das ihr zugewandte Vermächtnis nicht erhalten. Auf den Zeitpunkt der Diagnose dieser totbringenden Krankheit kommt es nicht an.
Krankenschwester soll laut Testament eine Immobilie erhalten
Im vorliegenden Fall hatte eine Erblasserin in ihrem handschriftlichen Testament in Frankreich bestimmt, dass ihre Krankenschwester mehrere Immobilien per Vermächtnis bekommen sollte. Der Bruder und Erbe der Verstorbenen weigerte sich ihr Vermächtnisanspruch anzuerkennen.
Das Berufungsgericht von Versailles (die sogenannte „cour d´appel“) hatte dem Antrag des erbberechtigten Bruders festzustellen, dass die bedachte Krankenschwester nicht berechtigt war das Vermächtnis zu erhalten, nicht stattgegeben.
Die Richter argumentierten damit, dass das Testament noch vor Erhalt der tödlichen Diagnose erstellt worden war. Die Erblasserin habe die Krankenschwester, welche sich nach dem Tod ihres Ehegatten sehr um sie gekümmert hatte, aus freien Stücken und von der Krankheit unabhängig bedacht. Sie sei somit berechtigt das ihr zugewandte Vermächtnis zu erhalten.
Diese Entscheidung wurde von der Cour de cassation aufgehoben.
Keine Zuwendungen todkranker Patienten an Mediziner und Pfleger
Zunächst hat die Cour de cassation auf eine gesetzliche Regelung des Code Civil (französisches Gesetzbuch) verwiesen, wonach das Medizin- und Pflegepersonal sowie Apotheker und deren Mitarbeiter, welche ihre Dienste während der totbringenden Krankheit einer Person erbracht haben, das ihnen zu Lebzeiten oder per Verfügung von Todeswegen bedachte Vermögen nicht erhalten dürfen.
Neu hinzu kam die Präzision der Richter, dass dieses Verbot, ein Vermächtnis zu erhalten, unabhängig von dem Datum der tödlichen Diagnose sei.
Es durfte somit für die Entscheidung nicht ausschlaggebend sein, dass die Erblasserin im Zeitpunkt der Erstellung ihres Testamentes ihre totbringende Krankheit nicht kannte und ihre Krankenschwester nur aus Dankbarkeit etwas zuwenden wollte.
Alleine der Umstand, dass sie die Erblasserin im Zeitpunkt ihrer Krankheit pflegte, reichte für die Richter aus, um ein Vermächtnisanspruch abzulehnen.
Ziel des Verbots und betroffene Personengruppen
Dieses im Code civil verankerte Verbot dient dazu, Erblasser vor bestimmten Personen beziehungsweise Berufsgruppen zu schützen, die auf sie einen zu großen Druck ausüben könnten. Dies gilt insbesondere für Ärzte, Krankenschwestern oder Pfleger und ihre Patienten. Hinzugekommen sind zudem Apotheker und deren Mitarbeiter, die ebenfalls Einfluss auf kranke Personen haben und diesen Einfluss ausnutzen könnten, wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist.
Von diesem Verbot erfasst werden neben Zuwendungen per Testamente und Schenkungen zu Lebzeiten auch sogenannte „verdeckte Schenkungen“. Solche „Schenkungen“ sehen – zumindest vordergründig – eine Gegenleistung vor, die letztlich aber keine ist. Ungültig sind zudem Zuwendungen, die zwar nicht an die pflegende Person selbst fließen sollen sondern zum Beispiel ihre Kinder.
Achtung: Eine solche Zuwendung ist an sich nicht unwirksam. Das Testament der Erblasserin in dem eben geschilderten Fall war weiterhin in seiner Gesamtheit gültig. Das darin enthaltene Vermächtnis konnte wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des Verbots nur nicht vollzogen werden.
Wann ist eine Krankheit todbringend im Sinne des Gesetzes?
Schwierigkeiten bereitet der Begriff der „todbringenden, letzten Krankheit“ zum Beispiel bei dem Vorliegen von chronischen Krankheiten oder Krankheiten, die sich über einen längeren Zeitraum verschlechtern und schließlich tödlich verlaufen.
Nicht von diesem Verbot erfasst wäre somit die Zuwendung des Erblassers an einen Pfleger, wenn dieser ihn wegen eines anderen Leidens als seine todbringende Krankheit begleitet hatte (zum Beispiel wegen Rheuma).
Im Streitfalle wird es die Aufgabe der Richter sein zu entscheiden, ob die Zuwendung während der todbringenden Krankheit erfolgt ist oder schon zuvor vorgenommen wurde.
Eine gutgemeinte Geste kann somit für die bedachte Person mit viel Ärger verbunden sein. Es ist deshalb sinnvoll sich insbesondere bei der Gestaltung seines Testamentes hinreichend Informationen einzuholen und gegebenenfalls eine Beratung in Anspruch zu nehmen.