Umgehung des Mindestlohngesetzes

Prekäre Lage auch für den Geschäftsführer?

Die Umgehung des Mindestlohngesetzes ist ein Phänomen, das insbesondere prekäre Arbeitsverhältnisse im Baugewerbe, Gastronomie, Logistik und Pflege trifft. Viele Betroffene fragen sich, ob Sie den Geschäftsführer direkt zur Verantwortung ziehen können, wenn das Unternehmen insolvent ist.

Veröffentlicht am: 23.09.2024
Qualifikation: Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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Der Geschäftsführer muss im Unternehmen eine Vielzahl an Aufgaben wahrnehmen. Er ist für die Leitung und Vertretung des Unternehmens verantwortlich. Mit der Unternehmensführung sind diverse gesetzliche Pflichten verbunden. Nach dem GmbH-Gesetz haben Geschäftsführer die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden. Bei Verstößen gegen diese Sorgfaltspflichten können Geschäftsführer sowohl gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung) als auch gegenüber Dritten (Außenhaftung) haften. Wenn ein Geschäftsführer Verstöße gegen das Mindestlohngesetz zu verantworten hat, stellt sich die Frage, ob er nur gegenüber der GmbH oder auch direkt gegenüber den betroffenen Mitarbeitern haften kann.

Mindestlohngesetzes: Damoklesschwert für Geschäftsführer?

Eine häufige Quelle der Geschäftsführerhaftung ist die Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften. Bisher rechtlich ungeklärt war, inwieweit der Geschäftsführer haftet, wenn er an die Mitarbeiter zu wenig Lohn zahlt, er also gegen das Mindestlohngesetz (MiLoG) verstößt. Wie sieht es also aus, wenn eine Umgehung des MiLoG vorliegt? Muss der Geschäftsführer persönlich für unterlassene Zahlungen des gesetzlichen Mindestlohns – und zwar direkt gegenüber dem Arbeitnehmer – haften?

Gesetzlich wird ein verbindlicher Mindestlohn für Arbeitnehmer festgesetzt, der nicht unterschritten werden darf. Verstöße gegen das MiLoG können unterschiedliche Ursachen haben. Oft werden zum Beispiel Zulagen, die in die Lohnberechnung einfließen sollten, nicht berücksichtigt. In der Betriebspraxis finden sich aber auch geplante Umgehungen des Mindestlohns, etwa durch verdeckte Arbeitszeitverlängerungen. Diese stellen eine gravierende Verletzung des MiLoG dar. Solche Verstöße ziehen nicht nur arbeitsrechtliche Konsequenzen, sondern auch Bußgelder nach sich.

Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr die Frage klären müssen, ob Verstöße gegen das MiLoG auch zu einer persönlichen Haftung des Geschäftsführers führen können.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 30.03.2023

Im Verfahren des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 30. März 2023 (8 AZR 120/22) wurde ein Fall behandelt, in dem ein Unternehmen den gesetzlichen Mindestlohn unterschritten hatte. Der Kläger, ein Arbeitnehmer, forderte Schadensersatz in Höhe des Mindestlohns von den Geschäftsführern direkt, nachdem das Unternehmen in die Insolvenz geraten ist.  

Das BAG versagte im Ergebnis eine Geschäftsführerhaftung, da das GmbH-Gesetz die Haftung auf das Vermögen der Gesellschaft beschränke. Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers hätte nur aus dem Deliktsrecht abgeleitet werden können, wenn das MiLoG auch eine drittschützende Wirkung zugunsten des Arbeitnehmers entfaltet, was der BAG verneint.

MiLoG kein Schutzgesetz

Eine relevante rechtliche Frage in der Diskussion ist also, ob das MiLoG als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren ist. Höchstgerichtlich wurde in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass es nicht als Schutzgesetz für Ansprüche Dritter angesehen werden kann. Dies bedeutet, dass Verstöße gegen das MiLoG in der Regel nicht zu einer deliktischen Haftung führen. Die Haftung beschränkt sich auf arbeitsrechtliche Ansprüche der Arbeitnehmer. 

Learnings für den Geschäftsführer

Auch wenn eine direkte Geschäftsführerhaftung gegenüber betroffenen Arbeitnehmern verneint wird, müssen die Geschäftsführer sicherstellen, dass der gesetzliche Mindestlohn in ihrem Unternehmen stets korrekt gezahlt wird. Eine sorgfältige Überwachung der Lohnstrukturen und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben sind unerlässlich, um rechtliche und finanzielle Risiken zu minimieren.

Verstöße gegen das Mindestlohngesetz können nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für die Geschäftsführer schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Zum einen können Verstöße von Geschäftsführern gegen Mindestlohnvorgaben zu einer außerordentlichen Kündigung und einer Geschäftsführerhaftung im Verhältnis zum Unternehmen (Innenhaftung) führen. Zum anderen können bei Verstößen gegen das MiLoG Bußgelder direkt gegen den Geschäftsführer verhängt werden. Der Geschäftsführer muss also im eigenen finanziellen Interesse für ein ordnungsgemäßes Compliance-System sorgen, das auch die Vorgaben des Mindestlohns umfasst. Andernfalls steht er im Risiko.