Unfuck the world
Neuer ökonomischer Dualismus: Stakeholder-Kapitalismus vs. Venture Capital
Ein Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Boris Jan Schiemzik, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Klimaschutz, Menschenrechte, Diversität und Inklusion sind Themen, die von Großunternehmen und sogar Finanzinvestoren neu entdeckt werden. Man fragt sich schon, ob der neue Zeitgeist nur Spuren in der Unternehmenskommunikation der Public Relation-Abteilungen hinterlässt oder ob sich tatsächlich die Firmenkultur vieler Unternehmen ändert. Kann uns wirklich ein Wandel vom Shareholder Value- zum Stakeholder-Kapitalismus gelingen? Diese Fragen stellen sich auch Startups mit Nachhaltigkeitsambitionen, wenn es um die Finanzierung ihrer grünen Geschäftsmodelle geht. Können sie auf Wagniskapital-Investoren setzen oder vertragen sich schlicht die Welten Stakeholder Value und Venture Capital nicht? Sie ahnen schon, es gibt mehr Fragen als Antworten.
ESG – der neue Nachhaltigkeitstrend
Die ESG-Welle in der internationalen Unternehmerwelt verursacht nicht nur Druck auf die Vergütungsstruktur von Konzernmanagern. Bezahlung und Boni von Führungskräften sollen sich neuerdings auch am unternehmerischen Engagement in Umwelt, Menschenrechte und Nachhaltigkeit orientieren. Kirchen, Menschenrechtler und Umweltaktivisten begrüßen die neue Entwicklung in der Wirtschaft. Die ESG-Kriterien fokussieren unternehmerisches Handeln in den Bereichen Environmental, Social und Governance, also Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung.
Einflussreiche Unternehmen wie die Deutsche Telekom setzen ESG-Kriterien bereits schon für die Vergütung ihrer Vorstände fest. Aber auch große Finanzinvestoren wie Blackrock drängen die börsengelisteten Unternehmen ihrer riesigen Portfolien zum Kampf gegen den Klimawandel. Erklärtes Ziel des Großinvestors ist nicht weniger als dass die Unternehmen ihre CO2-Emissionen bis 2050 auf null senken. Es scheint so, als seien sich die Nachhaltigkeitsvorreiter in der Wirtschaft einig, harmonisierte ESG-Standards sind für private und börsenaktive Unternehmen zwingend erforderlich. In anderen Worten: Klimawandel bedingt den Kulturwandel in der Unternehmerwelt.
Kann Wagniskapital auch Grüne Ökonomie?
Der Nachhaltigkeitstrend gewinnt aber nicht nur bei den etablierten Unternehmen an Fahrt. Unlängst positionieren sich auch Startups und Gründer wie Waldemar Zeiler (Social Entrepreneur und Autor von „Unfuck The Economy“) mit ihren lautstarken Aufrufen zur Neujustierung der Startup-Welt. Haben aber Startups, die auf eine Veränderung von Arbeitskultur bis Umwelt setzen, eine Chance mit VC-Mitteln ihre Ziele zu erreichen? Venture Capital ist eine Form der Finanzierung von Startups, die auf rasend schnelle Skalierung und Gewinnmaximierung setzt. Da das Venture Capital meist als Eigenkapital gewährt wird, sitzen die Shareholder Value-Vertreter mitten im Gesellschafterkreis. Es fragt sich mithin: beißt sich das Wagniskapital mit der Grünen Ökonomie? Der Widerspruch lässt sich auf den ersten Blick jedenfalls schwer aufheben. Zwar gibt es in der Investorengemeinde Vertreter, die auch bei ihren Portfoliogesellschaften die Klimaziele und grüne Faktoren besser gewichtet sehen wollen. Neben den ganz großen Spielern wie Blackrock findet man diese jedoch nur vereinzelt bei klassischen VC-Finanzinvestoren. Die Dichotomie zwischen Finanzkapital und Grüner Ökonomie lässt sich nicht einfach aufheben.
Bewertung des neuen grünen Trends
Im Unterschied zur US-amerikanischen Wirtschaftsordnung bezeichnen wir unsere Wirtschaftsordnung als soziale Marktwirtschaft, die eigentlich ausreichend Raum für das Stakeholder Value bieten sollte. Gleichwohl wird man wohl lange darauf warten, bis man Leaver-Klauseln und Vergütungsstrukturen in VC-Beteiligungsverträgen findet, die auf die Verbesserung von Klimaschutz und Inklusion ausgerichtet sind. Ein Stakeholder-Kapitalismus behindert nun einmal eine radikale Skalierung von Startup-Umsätzen. Wenn aber die Erfolgsskalierung durch den Fokus auf Umwelt, Menschenrechte und andere grüne Faktoren relativiert wird, wird sich auch das Investitionsverhalten im Kapitalmarkt spürbar ändern müssen. In absehbarer Zeit sehe ich keine nachhaltige Änderung in der VC-Szene. Insbesondere in Deutschland stellt sich bei den Startups immer noch eher die Frage nach dem „Ob“ und nicht des „Wie“ des Wagniskapitals.
Neben den sichtbaren Dissonanzen zwischen Wagnisfinanzierung und grüner Ökonomie melden sich aber auch Kritiker zu Wort, die den ESG-Trend in der Unternehmenswelt mit fundamentaler Skepsis begegnen. Grüne Normen und Vorgaben sollten – so die Kritiker – nicht von gewinnorientierten Unternehmungen gesetzt werden, sondern vom demokratisch legitimierten Staat. Dieses Zepter dürfe der Nationalstaat nicht aus der Hand geben. Auch ich bin der Auffassung, dass die Stellschrauben zum Beispiel für den Klimawandel besser durch den Staat justiert werden können. Insbesondere sollte die Verantwortung für die Nachhaltigkeit unserer Umwelt keiner partiellen Interessengemeinschaft übertragen werden. Gleichwohl sollte jeder eingeladen werden, einen Beitrag für die Verbesserung unserer Lebensumstände zu leisten.