Die Grenzen aggressiver Steuergestaltung
Der EuGH und das Mandatsgeheimnis
Meldepflichten im Bereich der Steuergestaltung können mit der anwaltlichen Verschwiegenheit kollidieren. Der EuGH bemüht sich um Klarheit.
Viele EU-Staaten versuchen Steuerhinterziehung und Gestaltungsmissbrauch im Steuerrecht mit umfangreichen Meldepflichten einzudämmen. Wie das mit dem Berufsgeheimnis von Rechtsanwälten vereinbar ist, entschied nun der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2024 - C-623/22).
Europäische Richtlinie zur grenzüberschreitenden Steuerplanung
Ausgangspunkt der Rechtsfrage ist eine entsprechende EU-Richtlinie, die vorschreibt, dass sogenannte "Intermediäre", die an möglicherweise aggressiven, grenzüberschreitenden Steuerplanungen mitwirken, diese den zuständigen Steuerbehörden melden müssen. Ziel der Richtlinie ist die Bekämpfung des Missbrauchs von Gestaltungen im Steuerrecht und die Bekämpfung strafbarer Steuerhinterziehung.
Wer ist meldepflichtig?
Zu den in der Richtlinie genannten Intermediäre zählen alle, die an der Konzeption, Organisation und Umsetzung entsprechender Gestaltungen beteiligt sind - einschließlich Unterstützer und Berater. Hier denkt man natürlich in erster Linie an Steuerberater und Fachanwälte für Steuerrecht, die Unternehmen und vermögende Privatpersonen (Private Clients) betreuen.
Ausnahmen für Rechtsanwälte möglich
Die Richtlinie sieht für Rechtsanwälte allerdings die Möglichkeit der Befreiung von der Meldepflicht vor. Die Entscheidung liegt in der Hand der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Voraussetzung für die Befreiung ist eine potenzielle Kollision der Meldepflicht mit der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht.
Klarstellend muss man natürlich sagen, dass die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht letztlich nicht vor einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Steuerhinterziehung schützt. Die Meldepflicht in der europäischen Richtlinie trifft auch den Steuerpflichtigen selbst und der Rechtsanwalt, der einer berufsrechtlichen Verschwiegenheit unterliegt, muss seinen Mandanten unverzüglich über seine Meldepflichten gegenüber dem Finanzamt unterrichten.
Richtlinie europarechtskonform
Der EuGH musste sich mit dem Thema befassen, weil der belgische Verfassungsgerichtshof in angerufen hatte. Dieser wurde zuvor von Vereinigungen belgischer Steuerrechtsanwälten und Steuerberatern bemüht, die gegen die entsprechende nationale Regelung in Belgien vorgingen.
In der aktuellen Entscheidung hat der EuGH nun entschieden, dass die Richtlinie europarechtskonform sei. Gleichzeitig hat das Gericht aber auch den Vorrang der anwaltlichen Verschwiegenheit eingeräumt.
Differenzierung zwischen Steueranwälten und Steuerberatern
Bemerkenswert ist, dass die Entscheidung des EuGH nur für Rechtsanwälte gilt, nicht aber für Steuerberater. Die Richter stellten dabei auf die besondere Mandatsbeziehung zwischen Anwalt und Mandant ab - vor allem im Rahmen der gerichtlichen Vertretung.