BGH erneut zur Actio pro Socio in der GmbH
Darf der Minderheitsgesellschafter im Namen der GmbH klagen?
In einem jüngst ergangenen Urteil hat der BGH erneut zur actio pro socio eines Minderheitsgesellschafters einer GmbH Stellung genommen. Vorliegend wurde ihm der Weg versperrt. Die Entscheidung klärt Fragen, wie der Minderheitsgesellschafter im Streitfall prozessual seine Rechte wahren kann.
Hintergrund: Was bedeutet actio pro socio?
Die sogenannte actio pro socio stellt ein wichtiges Instrument im Gesellschaftsrecht dar, das einem Gesellschafter ermöglicht, selbst Ansprüche für die Gesellschaft gegen Dritte gerichtlich geltend zu machen, wenn die eigentlich dazu berufenen Organe dies – zum Beispiel wegen eines Interessenkonfliktes – nicht tun. Diese Rechtsfigur beruht jedoch auf Rechtsfortbildung durch die Gerichte und ihre Anwendungsvoraussetzungen sind immer noch nicht abschließend geklärt. Dazu trägt nun der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung vom 5. November 2024 (II ZR 85/23) bei.
Die Problemstellung bei der actio pro socio liegt darin, dass sie grundsätzlich subsidiär zur inneren Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft steht und diese bei der GmbH eigentlich vorsieht, dass ausschließlich die Geschäftsführer für die Gesellschaft klagen dürfen. Ein Gesellschafter kann nur dann eine Klage im eigenen Namen führen kann, wenn andere Wege der Anspruchsdurchsetzung – wie z.B. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung oder Handlungen der Geschäftsführung – blockiert oder unwirksam sind.
Im vorliegenden Fall hat sich der BGH mit der Frage beschäftigt, ob ein Minderheitsgesellschafter einer GmbH Ansprüche gegen einen Fremdgeschäftsführer im eigenen Namen geltend machen kann, nachdem der Mehrheitsgesellschafter einen entsprechenden Beschluss treuwidrig verhindert hatte. Ein ähnlicher Sachverhalt wurde bereits in einer Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 2022 beleuchtet, in der festgestellt wurde, dass eine actio pro socio grundsätzlich nicht gegen Fremdgeschäftsführer gerichtet werden kann (BGHZ 232, 275), womit die Frage offen blieb, wann von diesem Grundsatz abweichend eine solche zulässig ist. Die aktuelle Entscheidung setzt diese Rechtsprechung fort und klärt zusätzliche Aspekte, insbesondere im Zusammenhang mit Stimmrechtsverbotsregelungen in zweigliedrigen Gesellschaften.
Überblick: Aktuelles Urteil zur actio pro socio
Der Streit drehte sich um eine GmbH mit zwei Gesellschaftern: einer Minderheitsgesellschafterin (Klägerin) mit 49 % und einer Mehrheitsgesellschafterin (F H GmbH) mit 51 %. Die Klägerin behauptete, dass die Geschäftsführung und die Mehrheitsgesellschafterin kollusiv zusammenarbeiteten, um Ansprüche der GmbH nicht zu verfolgen und nahm daher die actio pro socio in Anspruch und klagte in eigenem Namen für die Gesellschaft.
Der Konflikt entstand im Zusammenhang mit einem Unternehmenskauf, bei dem die GmbH von der den Beklagten gehörenden österreichischen Firma Geschäftsanteile sowie Marktrechte übernommen hatte. Die Klägerin warf den Beklagten vor, dass der Kaufpreis überhöht gewesen sei und beantragte daher, dass die Gesellschaft Ansprüche gegen die Geschäftsführer und die Mehrheitsgesellschafterin in Höhe von mehr als EUR 22 Mio. geltend mache. In der Gesellschafterversammlung wurde dieser Vorschlag jedoch von der insoweit in einem Interessenkonflikt befindlichen Mehrheitsgesellschafterin abgelehnt.
Die zentrale Rechtsfrage bestand darin, ob die Klägerin im eigenen Namen eine actio pro socio gegen die Fremdgeschäftsführer führen konnte. Der BGH hatte ja bereits entschieden, dass diese im Grundsatz nicht anwendbar ist. Lag hier eine Ausnahme vor? Kommt die actio pro socio nur subsidiär in Betracht und war hier ein anderes Rechtsmittel vorrangig?
Der BGH hat die Klage dann im Ergebnis als unzulässig abgewiesen. Es begründete dies mit folgenden Punkten:
- Keine Passivlegitimation der Geschäftsführer: Es fehlt an der für die Gesellschafterklage erforderlichen gesellschaftsrechtlichen Sonderbeziehung zu den Beklagten als Fremdgeschäftsführern, die an der Gesellschaft selbst nicht beteiligt sind.
- Subsidiarität der actio pro socio: Die Gesellschaft kann die Ansprüche selbst durchsetzen, da die Mehrheitsgesellschafterin aufgrund des Stimmrechtsverbots nach § 47 IV GmbHG nicht hätte abstimmen dürfen. Die Klägerin hätte als stimmberechtigte Gesellschafterin die Gesellschaft nach Ansicht des BGH unmittelbar vertreten können.
- Keine Notwendigkeit einer Anfechtungsklage: Da die Ablehnung des Beschlusses mangels verbindlicher Feststellung durch die Geschäftsführung ohnehin nichtig und nicht bloß anfechtbar war, brauchte die Klägerin keine Anfechtungsklage zu erheben.
Kritische Betrachtung des Urteils
Die Entscheidung des BGH klärt zwar einige Fragen zur actio pro socio, bietet aber auch Anlass zur Kritik.
Positive Aspekte
- Das Gericht hebt die Subsidiarität der actio pro socio hervor und betont damit die Vorrangigkeit der internen Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft.
- Es wird für die Praxis deutlich gemacht, dass die Missachtung von Stimmrechtsverboten nach § 47 IV GmbHG einen Minderheitsgesellschafter in die Lage versetzt, jetzt selbst die Gesellschaft zu vertreten und Ansprüche für diese durchzusetzen.
Kritische Aspekte
- Unklarheit bei der Passivlegitimation: Obwohl der BGH seine Entscheidung aus dem Jahr 2022 bestätigt, dass eine actio pro socio grundsätzlich nicht gegen Fremdgeschäftsführer zulässig ist, lässt er offen, ob mittelbare Gesellschafterbeziehungen, wie im vorliegenden Fall, eine Ausnahme bilden könnten. Zur Klärung wird es weiterer Urteile dazu bedürfen.
- Problematische Interpretation der Vertretungsbefugnis: Das Gericht geht davon aus, dass die Minderheitsgesellschafterin die GmbH direkt vertreten kann. Diese Lösung untergräbt jedoch die typische Zuständigkeitsverteilung zwischen Geschäftsführung und Gesellschaftern. Sie bürdet das Prozessrisiko damit der Gesellschaft auf, da die Kosten von ihr und nicht mehr vom klagenden Gesellschafter getragen werden. Bei der actio pro socio trägt er hingegen das Risiko, dass die Voraussetzungen hierfür tatsächlich nicht vorlagen.
Folgerungen für die Praxis im Gesellschafterstreit
Die Entscheidung des BGH hat Auswirkungen auf die praktische Handhabung bei Gesellschafterstreitigkeiten in der GmbH, insbesondere im Kontext von Zweipersonengesellschaften:
- Verlagerung des Kostenrisikos: Durch die Vorrangigkeit der direkten Vertretung der Gesellschaft durch den klagenden Gesellschafter vor der actio pro socio kann dieser das Kostenrisiko auf die Gesellschaft und damit indirekt anteilig auf die Mitgesellschafter verlagern.
- Bedeutung von Stimmrechtsverbotsregelungen: Die Wirksamkeit des Stimmrechtsverbots nach § 47 IV GmbHG ist die Voraussetzung dafür, dass der Gesellschafter direkt für die Gesellschaft Ansprüche geltend machen kann. Das unterstreicht die Bedeutung der Frage, ob ein Stimmrechtsverbot vorliegt oder nicht.
Die Entscheidung zeigt, dass der Gesellschafterstreit auch in prozessualer Hinsicht komplex ist und Beteiligte und Berater vor entsprechende Herausforderungen stellt. Das Urteil klärt Fragen im Zusammenhang mit der actio pro socio, aber auch zu diesem Thema ist die Rechtsentwicklung noch lange nicht abgeschlossen.