Befangenheitsantrag bei Verschleppung des Gerichtsverfahrens?
Strategien im Zivilprozess
Im Falle eines Streits vor Gericht kann man sich den Richter nicht aussuchen. Aber was passiert, wenn ein Richter das Gerichtsverfahren in unzulässiger Weise verschleppt? Wann lässt sich ein Richter auswechseln?
Grundsätzlich haben beide Prozessparteien, also Kläger und Beklagter, die Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Bei dem Befangenheitsantrag handelt es sich um ein wichtiges Instrument im Zivilverfahren. Man muss aber wissen: In der Verfahrenspraxis erweist sich die Durchsetzung des Befangenheitsantrags sehr oft als schwierig. Ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf befasst sich mit dem Befangenheitsantrag wegen unsachgemäßer Verfahrensleitung durch einen Richter. Die Entscheidung illustriert die praktischen Herausforderungen und Grenzen dieses Instruments.
Millionenschwere Klage mit Handbremse
Gegenstand des Beschlusses des OLG Düsseldorf vom 15.05.2023 (11 W 34/23) war ein langjähriger Prozess, in dem ein Insolvenzverwalter gegen eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe geltend gemacht hat. Trotz des hohen Streitwerts kam es zu erheblichen Verzögerungen und Versäumnissen durch den Richter des Landgerichts Düsseldorf. Es erfolgten unzählige Terminverlegungen. Schriftsätze wurden teils verspätet, teils gar nicht weitergeleitet. Besonders pfiffig erwies sich der Richter, als er nach Jahren des laufenden Verfahrens plötzlich die Anspruchsverjährung des Klageanspruchs auf die Agenda packte, ohne dies näher zu begründen.
Der Kläger stellte schließlich einen Antrag wegen Befangenheit gegen den Richter. Nach langer Zeit wurde dieser Antrag vom Landgericht zurückgewiesen und auch die sofortige Beschwerde blieb zunächst unbearbeitet. Man muss wissen, dass das Landgericht selbst über den Befangenheitsantrag entscheidet. Letztlich führte das Verfahren jedoch nicht zu einer Entscheidung in der Sache, da der Richter in den Ruhestand trat. Trotz des Ruhestands des Richters nahm sich das OLG Düsseldorf der Sache an und entschied inhaltlich zum Thema der Befangenheit.
Erfolgreicher Befangenheitsantrag
Nach der ZPO ist von einer Besorgnis der Befangenheit auszugehen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
Grundsätzlich stellt eine unsachgemäße Verfahrensleitung, wie eine stark verzögerte Bearbeitung, keinen Ablehnungsgrund nach § 42 Abs. 2 ZPO dar, da Verzögerungen in der Regel beide Parteien gleichermaßen benachteiligen. Hier jedoch entschied das OLG, dass der Bogen überspannt war. Die Gesamtschau der Verfahrensgestaltung des abgelehnten Richters rechtfertigte nach Ansicht des Gerichts das Misstrauen des Klägers in die Unparteilichkeit des Richters. Besonders die Kombination aus zahlreichen Verfahrensverzögerungen, Nichteinhaltung von Bearbeitungszusagen und der plötzlichen, unbegründeten Annahme der Verjährung vertraglicher Ansprüche führte zu der begründeten Besorgnis der Befangenheit.
Nach der Meinung des OLGs bestanden schlicht Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters. Es meinte: „Das Verhalten des Richters kann auch aus Sicht einer verständigen Partei den Eindruck erwecken, dass dieser das Verfahren nicht fördern wollte.“ Das OLG Düsseldorf betonte, dass in einem Zeitraum von fast vier Jahren nur minimalste inhaltliche richterliche Maßnahmen ergriffen wurden. Die zahlreichen Terminverlegungen, teils ohne Absprache mit den Parteien, erweckten den Eindruck, dass der Richter das Verfahren bewusst verschleppe und sich inhaltlich nicht mit der Klage auseinandersetzen wollte.
Prozessuale Überlegungen & Empfehlungen
Der OLG Düsseldorf-Fall zeigt eindrucksvoll, wie begrenzt der Befangenheitsantrag als Instrument zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens wirkt. Dies gilt auch für Gerichtsverfahren mit hohen Streitwerten, etwa bei Fällen von Schadensersatz gegen Unternehmen. Sogar in extremen Fällen, in denen die Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt ist, führt ein erfolgreicher Antrag nicht unbedingt zur angestrebten Verfahrensbeschleunigung, insbesondere wenn sich der Richter in den Ruhestand „flüchtet“.
Auch die Verzögerungsrüge nach § 198 GVG (Gerichtsverfahrensgesetz) gewährt keinen effektiven Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer. Es sind Zweifel angesagt, ob das geltende Recht den Prozessparteien die nötigen effektiven Mittel zur Verfügung stellt, um Verfahren, die aus dem Ruder laufen, wieder einzufangen.
Der Befangenheitsantrag bleibt ein wichtiges, aber unzureichendes Instrument im deutschen Zivilprozess. Extreme Fälle, wie der hier diskutierte, verdeutlichen, dass es an einem effektiven Rechtsschutz für Parteien in extrem verzögerten Verfahren fehlt. Hier können nur Reformen des Gesetzgebers weiterhelfen.