Online-Klage: besser, schneller, billiger
Bundesjustizministerium startet Pilotprojekt „Digitaler Zivilprozess“
Steht die Ziviljustiz in Deutschland vor einem bedeutenden Wandel? Das Bundesjustizministerium plant, den Zivilprozess durch digitale Technologien grundlegend zu modernisieren.
Das Bundesjustizministerium (BMJ) stellt das Projekt „Digitaler Zivilprozess“ auf die Beine. Es will gerichtliche Auseinandersetzungen einfacher, schneller und kostengünstiger gestalten, und zwar im Rahmen eines Online-Klageverfahrens. Ein Pilotprojekt in Form eines Reallabors soll nun die ersten Schritte hin zu einem vollständig digitalen Zivilprozess erproben.
Aktueller Zustand vor Gericht unzufriedenstellend
Zivilgerichte verzeichnen seit Jahren rückläufige Fallzahlen. Lange Verfahrenszeiten, hohe Gerichtskosten und unklare Verfahrensausgänge tragen dazu bei, dass viele Bürgerinnen und Bürger ihre Streitigkeiten gar nicht erst vor Gericht austragen. Dieser Trend untergräbt das Vertrauen in die Justiz und den Zugang zum Rechtssystem für die Allgemeinheit. Das BMJ hat daher Reformen initiiert, um den Zugang zur Justiz zu erleichtern und diese wieder bürgernäher zu gestalten.
Ein zentraler Bestandteil dieser Reformen ist das Online-Verfahren, das es den Parteien ermöglicht, Klagen und gerichtliche Anträge vollständig digital einzureichen. Unterstützende Tools und strukturierte Eingabehilfen sollen den Zugang für Laien erleichtern und gleichzeitig die Bearbeitung für Gerichte vereinfachen.
Schaffung eines Reallabors für digitalen Zivilprozess
Gestern, am 4. September 2024, hat das BMJ den Entwurf für ein „Gesetz zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit“ vorgelegt. Dieses Gesetz soll die Grundlage für ein Reallabor schaffen, in dem der digitale Zivilprozess an ausgewählten Gerichten unter realen Bedingungen getestet wird. Das Reallabor soll nicht nur die technische Machbarkeit, sondern auch die praktische Anwendbarkeit eines solchen Online-Verfahrens überprüfen. Bürgerinnen und Bürger können ihre Ansprüche in einem nutzerfreundlichen und vollständig digitalen Verfahren geltend machen.
Wie soll der digitale Prozess ablaufen?
Das Verfahren ist vollständig digital konzipiert: Klagen werden online über das zentrale „Bürgerkonto“ eingereicht, und sämtliche Verfahrenskommunikation – einschließlich Anträgen, Erklärungen und Vergleichsabsprachen – läuft über dieses Onlinesystem. Auch Anwältinnen und Anwälte sollen über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) teilnehmen können.
Mündliche Verhandlungen sollen künftig verstärkt per Videokonferenz stattfinden, während Beweiserhebungen digitalisiert werden. Am Ende des Verfahrens wird das Urteil elektronisch zugestellt.
Strukturierter Parteivortrag soll kommen
Ein weiterer zentraler Aspekt des geplanten digitalen Zivilprozesses ist die Strukturierung des Parteivortrags. Mit vorstrukturierten Eingabefeldern soll der Prozessstoff klarer und effizienter erfasst werden. Dies soll insbesondere in sogenannten Massenverfahren, wie etwa bei Fluggastrechte-Klagen, für Entlastung sorgen. Aber auch bei klassischen Gerichtsstreitigkeiten, bei denen es um Geldzahlungen geht, soll das neue Online-Verfahren Erleichterungen schaffen.
Vorteile des Online-Verfahrens: es wird schneller & billiger
Das BMJ verspricht sich durch den digitalen Zivilprozess nicht nur einen besseren Zugang zur Justiz, sondern auch erhebliche Kosteneinsparungen. So könnten die Gerichtsgebühren für Online-Verfahren im Vergleich zu traditionellen Verfahren gesenkt werden. Auch der Wegfall von Postsendungen sowie die Reduzierung von Wegezeiten für Bürgerinnen und Bürger würden zu erheblichen Einsparungen führen.
Prognosen gehen davon aus, dass bis zu 18.000 Verfahren pro Jahr digital abgewickelt werden könnten, was etwa 20 % der gesamten Neueingänge an den beteiligten Gerichten entspricht. Die Erprobung des digitalen Zivilprozesses ist auf einen Zeitraum von zehn Jahren angelegt, wobei nach vier und acht Jahren eine Evaluierung erfolgen soll.
Modernisierungsschub für die Justiz
Der Plan des BMJ, einen digitalen Zivilprozess zu schaffen, hat das Potenzial, die Justiz in Deutschland nachhaltig zu modernisieren und effizienter zu gestalten. Die Einführung eines vollständig digitalen Verfahrens könnte den Zugang zur Justiz erleichtern, die Verfahrenskosten senken und die Arbeit der Gerichte entlasten. Es wird sicher dauern, bis der Digitalisierungsschub auch die B2B-Gerichtsverfahren, etwa hochpreisige Klagen & Schadensersatzprozesse gegen Unternehmen, erreichen wird. In jedem Fall markiert das Projekt einen wichtigen Schritt hin zu einer Justiz, die den Anforderungen der digitalen Zukunft gewachsen ist.
Weitere Hintergrundinformationen zum Gesetzentwurf finden Sie auf der Seite des BMJ: „Gesetz zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit„ https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2024_Erprobungsgesetz_Zivilprozess.html